Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
verschränkt, das rosafarbene, fleischige Gesicht teilnahmslos und nicht zu deuten. Die anderen Mitglieder der Brückencrew standen an ihren Stationen, schweigsam und nervös.
Aber es war nicht nur Cutters Anwesenheit, die diese spannungsgeladene Atmosphäre hervorrief. LeSeur war sich nur zu bewusst, dass man trotz der Level-zwei-Suche diese Evered nicht gefunden hatte. Ihr Mann war außer sich; er rannte die Gänge rauf und runter, machte eine Szene nach der anderen, beharrte darauf, dass seine Frau niemals gesprungen sei, dass sie ermordet worden sei oder als Geisel gehalten werde. Sein Gebaren beunruhigte die anderen Passagiere, Gerüchte kursierten. Zudem hatte der grausige und unerklärliche Selbstmord des Zimmermädchens die Besatzung gehörig verschreckt. LeSeur hatte insgeheim Blackburns Alibi überprüft – es war wasserdicht; der Milliardär war tatsächlich beim Dinner gewesen, sein privates Zimmermädchen auf der Krankenstation.
LeSeur grübelte über diese Probleme nach, als der neue wachhabende Offizier auf der Brücke erschien und den vorherigen ersetzte. Während die beiden Männer mit leiser Stimme den Wachwechsel besprachen, schlenderte LeSeur zum zentralen Steuerpult, wo der Stellvertretende Kapitän Mason die elektronischen Systeme überprüfte. Sie wandte sich um, nickte kurz und machte sich wieder an die Arbeit.
»Kurs, Geschwindigkeit und Wetterverhältnisse?«, fragte Cutter den neuen wachhabenden Offizier. Eine Pro-forma-Frage: LeSeur war sicher, dass Cutter die Antworten kannte, aber auch wenn nicht: Ein Blick auf die Kartenplotter und Wetterkarten hätte ihm alles verraten, was er wissen musste.
»Position 49 Grad, 50,36 Minuten nördlicher Breite und 0,12 Grad, 43,08 Minuten westlicher Länge, Kurs zwei vier eins null, Geschwindigkeit neunundzwanzig Knoten«, antwortete der diensthabende Offizier. »Seegang 4, Wind 20 bis 30 Knoten an Steuerbordheck, Wellen 3 bis 4 Meter. Barometrischer Luftdruck 29,96, fallend.«
»Geben Sie mir einen Ausdruck unserer Position.«
»Ja, Sir.« Der diensthabende Offizier tippte ein paar Tasten, ein dünnes Blatt Papier schob sich aus einem Minidruckerschlitz an der Seite des Pults. Cutter riss das Blatt ab, warf einen Blick darauf und steckte es in eine Tasche seiner makellos gebügelten Uniform. LeSeur wusste, was er mit dem Ausdruck machen würde: Sobald er wieder in seiner Kabine war, würde er die Daten mit der relativen Position der
Olympia
auf ihrer Rekordfahrt im Vorjahr vergleichen.
Hinter der großen Fensterfront, die sich an der Vorderseite der Kommandobrücke entlangzog, kam die Schlechtwetterfront immer näher. Die See bot ein dramatisches Bild. Es handelte sich um ein großes, sich langsam bewegendes Wettersystem, und das bedeutete, dass es sie den Großteil der Überfahrt begleiten würde. Der spitz zulaufende Bug der
Britannia
durchschnitt die Wellen und erzeugte eine gigantische, schaumige Gischt, die bis auf eine Höhe von über fünfzehn Metern reichte, ehe sie auf die unteren Wetterdecks an achtern wieder herabregnete. Das Schiff hatte das unverkennbare Tiefsee-Rollen entwickelt.
LeSeurs Blick schweifte über die Anzeigen der wichtigsten Systeme: Die Stabilisatoren waren auf halbe Stellung ausgefahren, dadurch wurde der Komfort der Passagiere einer höheren Geschwindigkeit geopfert, vermutlich hatte Cutter das angeordnet.
»Captain Mason?«, rief Cutter über die halbe Brücke.
»Er wird gleich da sein, Sir.«
Cutter gab keine Antwort.
»Unter den Umständen schlage ich vor, dass wir ernsthaft in Erwägung ziehen …«
»Ich höre mir erst seinen Bericht an«, unterbrach Cutter.
Mason wurde still. Schnell wurde LeSeur klar, dass er mitten in eine aktuelle Meinungsverschiedenheit geraten war.
Die Tür zur Brücke ging auf; der Sicherheitschef trat ein.
»Da sind Sie ja endlich, Mr Kemper«, sagte Cutter, ohne ihn anzusehen. »Ihren Bericht, bitte.«
»Wir haben den Anruf vor etwa vierzig Minuten erhalten, Sir«, sagte Kemper. »Eine ältere Dame in Suite 1039, die ihre Reisebegleitung als vermisst gemeldet hat.«
»Und wer ist diese Reisebegleitung?«
»Eine junge Schwedin, Inge Larssen mit Namen. Sie hat die alte Frau um neun Uhr zu Bett gebracht und ist dann angeblich selbst zu Bett gegangen. Als irgendwelche angetrunkenen Passagiere irrtümlich an die Tür der alten Dame klopften, ist sie aufgewacht, und da war Miss Larssen verschwunden. Seitdem suchen wir nach ihr – ohne Erfolg.«
Langsam drehte sich
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