Pendergast 09 - Cult - Spiel der Toten
Teppichen und altem Kartoffelbrei roch. Auf einem handgeschriebenen, an einem Holzständer angebrachten Schild in der Mitte der Lobby stand:
Alle Besucher MÜSSEN sich am Empfang melden!
Ein gekritzelter Pfeil zeigte in eine Ecke, in der ein Schreibtisch stand, dahinter eine Frau, die in einer
Cosmopolitan
las. Die Frau brachte wohl mindestens zweieinhalb Zentner auf die Waage.
D’Agosta zückte seinen Dienstausweis. »Lieutenant D’Agosta, Special Agent –«
»Besuchszeit ist von zehn bis zwei«, sagte sie, ohne von der Zeitschrift aufzublicken.
»Entschuldigen Sie. Wir sind
Polizei
beamte.« Er hatte keine Lust mehr, sich diesen Scheiß bieten zu lassen, von niemandem, nicht bei diesen Ermittlungen.
Schließlich legte die Frau die Zeitschrift aus der Hand und schaute sie an.
D’Agosta ließ sie einen Moment auf seinen Ausweis starren, dann steckte er ihn in die Jackentasche zurück. »Wir möchten mit Mrs. Gladys Fearing sprechen.«
»Na gut.« Die Frau betätigte den Knopf an der Gegensprechanlage und brüllte hinein. »Cops hier, die Fearing besuchen wollen.« Dann drehte sie sich wieder zu ihnen um – mit einer Miene, die plötzlich nicht mehr gelangweilt, sondern unerwartet interessiert wirkte. »Was ist denn passiert? Geht es um ein Verbrechen?«
Pendergast beugte sich vor und befleißigte sich eines vertraulichen Tonfalls. »Um ganz ehrlich zu sein, ja.«
Die Frau riss die Augen auf.
»Einen
Mord
«, flüsterte er.
Sie schlug die Hand vor den Mund. »Wo? Hier?«
»In New York.«
»War es Mrs. Fearings Sohn?«
»Sie meinen Colin Fearing?«
D’Agosta sah ihn an.
Worauf zum Teufel wollte er hinaus?
Pendergast richtete sich auf und rückte seine Krawatte zurecht. »Kennen Sie Colin gut?«
»Eigentlich nicht.«
»Aber er hat seine Mutter regelmäßig besucht, oder? Vergangene Woche zum Beispiel?«
»Ich glaube nicht.« Die Frau zog ein Besucherbuch zu sich heran und blätterte darin herum. »Nein.«
»Dann müsste es eine Woche davor gewesen sein.« Pendergast beugte sich vor, um einen Blick in das Besucherbuch werfen zu können.
Sie blätterte weiter; aufmerksam verfolgte er mit dem Blick die Seiten. »Nein. Das letzte Mal hat er sie … im Februar besucht. Vor acht Monaten.«
»Ach, tatsächlich!«
»Sehen Sie selbst.« Sie drehte das Buch um, damit Pendergast den Eintrag lesen konnte. Er betrachtete die hingekritzelte Unterschrift, dann blätterte er zum Anfang des Buchs zurück, wobei er sich jede Seite genau ansah. Er richtete sich auf. »Wie es scheint, hat er seine Mutter nicht sehr häufig besucht.«
»Niemand besucht hier seine Angehörigen oft.«
»Und Mrs. Fearings Tochter?«
»Ich wusste gar nicht, dass sie eine Tochter hat. Ist jedenfalls nie hier gewesen.«
Pendergast legte freundlich seine Hand auf ihre überaus kräftige Schulter. »In Beantwortung Ihrer Frage, ja, Colin Fearing ist tot.«
Sie hielt inne und riss die Augen weit auf. »Ermordet?«
»Wir kennen die Ursache seines Todes noch nicht. Es hat also noch niemand der Mutter davon erzählt?«
»Niemand. Keiner hier hat etwas davon gewusst, glaube ich. Aber …« Sie zögerte. »Sie sind doch nicht gekommen, um es ihr zu sagen, oder?«
»Streng genommen nicht.«
»Ich finde, Sie sollten das auch nicht. Warum ihr die letzten Monate ihres Lebens vermiesen? Ich meine, er hat sie kaum einmal besucht und ist auch nie lange geblieben. Er wird ihr schon nicht fehlen.«
»Wie war er denn so?«
Sie verzog das Gesicht. »Ich würde einen Sohn wie ihn nicht wollen.«
»Ah ja? Könnten Sie uns das etwas näher erläutern?«
»Er war unhöflich. Gemein. Er hat mich Dicke Bertha genannt.« Sie wurde rot.
»Das ist empörend. Und wie heißen Sie, meine Liebe?«
»Jo-Ann.« Sie zögerte. »Sie werden Mrs. Fearing doch nichts von seinem Tod erzählen, oder?«
»Das ist sehr mitfühlend von Ihnen, Jo-Ann. Dürften wir nun Mrs. Fearing besuchen?«
»Wo steckt denn dieser Pfleger?« Sie wollte gerade wieder den Knopf an der Gegensprechanlage drücken, da besann sie sich eines Besseren. »Ich bringe Sie selbst zu ihr. Aber ich muss Sie warnen: Mrs. Fearing ist ziemlich plemplem.«
»Plemplem«, wiederholte Pendergast. »Verstehe.«
Die Frau erhob sich mühsam aus ihrem Stuhl, höchst beflissen, ihnen zu helfen. Sie folgten ihr über einen langen, schwach beleuchteten Flur mit Linoleumboden und wurden erneut von unangenehmen Gerüchen attackiert, menschliche Ausdünstungen, gekochte Speisen, Erbrochenes.
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