Pendergast 09 - Cult - Spiel der Toten
sich genommen hatte. »Um DNA -Spuren zu bekommen?«
»Selbstverständlich.«
»Und die Sache mit dem Teddybären?«
»Jeder hatte als Kind einen Teddybären. Zweck der Übung war, dass sich die alte Dame schneuzt.«
D’Agosta war entsetzt. »Das war gemein.«
»Im Gegenteil.« Pendergast steckte das Reagenzglas wieder ein. »Mrs. Fearing hat Tränen des Glücks vergossen. Wir haben ihr den Tag versüßt, und im Gegenzug hat sie uns einen Gefallen erwiesen.«
»Hoffentlich bekommen wir die DNA -Analyse vor dem Sankt- Nimmerleins-Tag.«
»Noch einmal: Wir werden nicht nur ungewöhnliche Wege beschreiten müssen, wir müssen diese Wege auch noch verlassen.«
»Soll heißen?«
Doch Pendergast lächelte nur geheimnisvoll.
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11
»Nora, es tut mir sehr leid!« Der Doorman öffnete ihr schwungvoll die Tür, fasste ihre Hand und hüllte sie dabei mit seinem Duft nach Haarwasser und Aftershave ein. »In Ihrer Wohnung ist alles bereit. Schlösser ausgewechselt. Alles fix und fertig. Ich habe neuen Schlüssel. Ich spreche Ihnen mein aufrichtiges Beileid aus. Aufrichtiges.«
Nora spürte, wie ihr der kalte flache Schlüssel in die Hand gedrückt wurde.
»Wenn Sie meine Hilfe brauchen, lassen Sie mich wissen.« Er schaute sie mit ehrlicher Sorge in seinen feuchten braunen Augen an.
Nora schluckte. »Vielen Dank, Enrico, für Ihre Anteilnahme.« Sie sagte diesen Satz inzwischen fast schon automatisch.
»Alles. Alles. Rufen Sie Enrico und ich kommen.«
»Vielen Dank.« Sie ging zum Fahrstuhl, zögerte und ging weiter. Sie musste das hier tun, ohne allzu viel zu überlegen.
Die Fahrstuhltüren schlossen sich klackend, leise glitt die Kabine hinauf in den sechsten Stock. Als die Türen sich öffneten, rührte sich Nora nicht vom Fleck. Dann, gerade als sich die Türen wieder zu schließen begannen, trat sie rasch in den Flur.
Alles war still. Hinter einer Tür ertönte leise ein Streichquartett von Beethoven, hinter einer anderen eine gedämpfte Unterhaltung. Sie machte einen Schritt, zögerte dann aber erneut. Vor ihr, kurz vor der Biegung des Korridors, erblickte sie die Tür zu ihrer beider – zu
ihrer
– Wohnung. Die aufgeschraubten Ziffern aus Messing: 612.
Langsam ging sie den Flur hinunter, bis sie vor der Tür stand. Der Spion war dunkel, kein Licht in der Wohnung. Der Schlosszylinder und der Beschlag waren brandneu. Sie öffnete die Hand und starrte auf den Schlüssel, glänzend, frisch gefräst. Er wirkte irreal. Nichts schien wirklich zu sein.
Jamais vu
– der Gegensatz von déjà vu. Es war, als sähe sie alles zum ersten Mal.
Langsam schob sie den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. Das Schloss klickte, dann merkte sie, wie sich die Tür im Rahmen bewegte. Sie drückte gegen die Tür, die sich in den frisch geölten Angeln mühelos öffnete. Die Wohnung lag im Dunkel. Nora streckte die Hand nach dem Lichtschalter aus, tastete danach, konnte ihn nicht finden.
Wo ist er?
Sie trat in die Dunkelheit, tastete an der leeren Wand entlang, und plötzlich bekam sie Herzklopfen. Ein Geruch – nach Putzmitteln, Möbelpolitur … und noch etwas anderem umhüllte sie.
Die Tür fiel hinter ihr zu und sperrte das Licht vom Flur aus. Mit einem erstickten Schrei griff sie hinter sich, ergriff den Türknauf, trat zurück in den Flur und schloss die Tür. Noras Schultern bebten, sie lehnte den Kopf an die Tür und versuchte die Schluchzer, die ihren Körper erbeben ließen, zu unterdrücken.
Nach einigen Minuten hatte sie sich mehr oder weniger im Griff. Sie blickte den Flur hinauf und hinunter, dankbar, dass niemand vorbeigegangen war. Halb genierte sie sich wegen des Ansturms der Gefühle, die sich in ihr angestaut hatten, halb fürchtete sie sich vor ihnen. Es war töricht zu glauben, sie könnte einfach so in die Wohnung zurückkehren, in der ihr Mann erst 48 Stunden zuvor ermordet worden war. Sie würde sich bei Margo Green einquartieren und ein paar Tage bei ihr bleiben, aber dann fiel ihr ein, dass Margo ja bis Januar im Forschungsurlaub war.
Sie musste raus hier. Sie fuhr im Fahrstuhl wieder hinunter ins Erdgeschoss und ging auf etwas wackligen Beinen durch die Lobby. Der Doorman öffnete ihr die Tür. »Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie Enrico«, sagte er, als sie, jetzt schon im Laufschritt, an ihm vorbeiging.
Auf der 82. Straße ging sie nach Osten, in Richtung Broadway. Es war ein kühler, aber immer noch angenehmer Oktobertag, die Bürgersteige belebt, die Leute waren auf dem Weg
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