Pendergast 11 - Revenge - Eiskalte Täuschung
ihn zu. Allerdings befand es sich weiter entfernt, als er zunächst angenommen hatte. Es wanderte herum, verschwand manchmal und tauchte dann wieder auf. Dann verschwand es wieder. D’Agosta wartete.
»Hier drüben!«, rief er panisch. Hatten sie ihn gehört, oder handelte es sich um Zufall? Phantasierte er? »Ich bin hier drüben!« Warum erwiderten sie nicht seine Rufe? Waren sie im Moor versunken?
Und plötzlich sah er die Lampe direkt vor sich. Die Person, die sie in der Hand hielt, leuchtete ihm damit ins Gesicht, dann stellte sie sie auf den Boden. Im Schein der Lampe sah er eine seltsame Frau mit herabhängender Unterlippe. Sie trug einen Regenmantel, dazu Stiefel, Schal, Handschuhe und eine Mütze, unter der ein Schopf weißen Haars hervorschaute, hatte eine Hakennase und strahlend blaue Augen. Im Nebel und in der Dunkelheit sah sie aus wie ein Gespenst.
»Was in Teufels Namen …?«, fragte sie barsch.
»Ich suche Glims Holm.«
»Sie haben es gefunden.« Sarkastisch fügte sie hinzu: »Fast.« Sie hob die Lampe vom Boden auf und drehte sich um. »Passen Sie auf, wo Sie hintreten.«
D’Agosta ging leicht torkelnd hinter ihr her. Zehn Minuten später erschienen im Lichtschein der Lampe die verschwommenen Umrisse eines Cottage, dessen gefugte Steine früher einmal weiß gekalkt gewesen, inzwischen aber fast vollständig von Flechten und Moos bedeckt waren. Dach und Schornstein bestanden aus Schiefer.
Die Frau schob die Tür auf. D’Agosta folgte ihr in das erstaunlich warme, gemütliche Häuschen. Prasselndes Feuer im riesigen Kamin, altmodischer Emaille-Herd, bequeme Sofas und Sessel, auf dem Boden Knüpfteppiche, an den Wänden Bücher und ein paar Bilder, dazu eine Reihe von Hirschgeweihen, alles erleuchtet von Petroleumlampen.
Die Wärme war das Schönste, was D’Agosta in seinem ganzen Leben je verspürt hatte.
»Ziehen Sie sich aus«, sagte die weißhaarige Frau schroff und ging zum Kamin.
»Ich …«
»
Ausziehen,
Herrgott noch mal.« Sie ging in eine Ecke und zog einen großen Flechtkorb hervor. »Klamotten hier rein.«
D’Agosta zog seinen Regenmantel aus und ließ ihn in den Korb fallen. Dann legte er den durchnässten Pullover hinein, es folgten Schuhe, Socken, Hemd, Unterhemd und Hose. Schließlich stand er in seinen schlammigen Boxershorts da.
»Unterhose auch«, sagte die Frau. Sie hantierte am Herd und zog einen großen Topf von der Herdplatte, schüttete Wasser in ein verzinktes Waschbecken und stellte es neben den Kamin, legte einen Waschlappen und ein Handtuch bereit.
D’Agosta wartete, bis sie ihm den Rücken zukehrte, dann zog er die Boxershorts aus. Der Kamin verströmte eine heimelige Wärme.
»Und wie heißen Sie?«
»D’Agosta. Vincent D’Agosta.«
»Waschen Sie sich. Ich hol Ihnen saubere Sachen. Sie sind zwar ’n bisschen zu kräftig, um in die Kleider vom Mister zu passen, aber ich find schon was für Sie.« Sie ging eine schmale Stiege hinauf, er hörte, wie sie sich im Obergeschoss umherbewegte. Außerdem Gehuste und die nörgelnde Stimme eines alten Mannes, die gar nicht erfreut klang.
Die alte Frau kam mit einem Armvoll Kleidung zurück, als er sich gerade mit dem Waschlappen wusch. Als er sich umdrehen wollte, sah er, dass sie ihn anschaute, wobei ihr Blick allerdings nicht auf sein Gesicht gerichtet war. »Also
das
ist ja mal ein schöner Anblick für ’ne alte Frau.« Lachend legte sie ihm die Kleider hin und wandte sich wieder zum Kamin um, legte ein paar Scheite Holz nach und machte sich dann erneut am Herd zu schaffen.
Die Sache war D’Agosta ein wenig peinlich. Schließlich hatte er sich den Schlamm abgewaschen, sich trockengerubbelt und angezogen. Die Sachen waren zwar für einen größeren, schlankeren Mann gemacht, aber sie passten trotzdem ganz gut, nur ließ sich die Hose nicht zuknöpfen. Aber mit dem Gürtel konnte er sie oben halten. Die alte Frau hatte in einem Topf gerührt, und nun breitete sich ein köstlicher Duft von Lamm-Eintopf im Raum aus.
»Setzen Sie sich.« Mit einem großen Teller Eintopf und einigen Scheiben Brot, die sie von einem Laib abgeschnitten hatte, kam sie herüber und stellte das Brot und den Eintopf vor ihn auf den Tisch. »Und nun essen Sie erst mal.«
Gierig aß D’Agosta einen Löffel voll – und verbrannte sich den Mund. »Der Eintopf schmeckt wunderbar. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken …«
Sie schnitt ihm das Wort ab. »Jetzt haben Sie Glims Holm gefunden. Was wollen Sie also
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