Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
wehrenden Weber hinein. Vor Schreck packte Weber die Fensterrahmen zu beiden Seiten. Er hörte den Verkehr auf der Peachtree Street zwanzig Stockwerke unter ihm, spürte den Aufwind.
»Ich liebe die Fenster in diesen alten Wolkenkratzern«, sagte Pendergast. »Sie lassen sich öffnen. Und was den Ausblick angeht, hatten Sie recht.«
Weber klammerte sich verzweifelt an die Fensterrahmen und keuchte vor lauter Angst.
Pendergast langte mit dem Knauf seiner Waffe um Weber herum und hieb ihm damit auf die linke Hand, wodurch er ihm mehrere Knochen brach, dann zertrümmerte er die rechte. Mit einem Aufschrei spürte Weber, wie er rücklings in die leere Luft geschoben wurde, vergeblich schlug er mit den Armen um sich, die Beine noch immer an die Fensterbank gehakt. Pendergast verhinderte seinen Sturz, indem er ihn an der Krawatte packte und ihn auf Armeslänge aus dem Fenster hielt.
Fieberhaft presste Weber die Waden gegen den Fenstersims, er keuchte und kämpfte, um nicht den Halt zu verlieren.
»Ein Mann sollte seine Garderobe genau kennen – und deren Grenzen«, redete Pendergast weiter, immer noch in lockerem Plauderton. »Meine Jay-Kos-Krawatten zum Beispiel sind aus siebenfach gefalteter italienischer Seide. Ebenso reißfest wie schön.«
Mit einem Ruck zog er an Webers Krawatte. Weber riss den Mund auf. Langsam rutschte er vom Fenstersims ab. Er bemühte sich, wieder Halt mit den Füßen finden. Er wollte etwas sagen, aber die Krawatte würgte ihn.
»Andere Hersteller nehmen manchmal den kürzesten Weg«, sagte Pendergast. »Sie wissen schon, einfache Steppung, lediglich doppelte Faltung.« Wieder zog er an der Krawatte. »Ich möchte mich daher vergewissern, was die Qualität Ihrer Krawatte angeht, bevor ich Ihnen meine Frage noch einmal stelle.«
Ein Ruck am Stoff.
Mit einem ratschenden Geräusch begann Webers Krawatte zu reißen. Er starrte darauf und schrie unwillkürlich auf.
»Oje«, sagte Pendergast enttäuscht. »Brioni? Das bezweifle ich. Vielleicht hat man Ihnen eine Fälschung angedreht. Oder Sie haben gespart und mich angelogen, was Ihren Herrenausstatter betrifft.«
Ein weiterer Ruck.
Inzwischen war die Krawatte an ihrem breiten Ende zur Hälfte entzweigerissen. Aus dem Augenwinkel sah Weber, wie sich unten auf der Straße eine Menschenmenge bildete, die Leute zeigten zu ihm herauf. Ferne Rufe. In seinem Kopf begann sich alles zu drehen. Panik überwältigte ihn.
Ruckartiges Ziehen. Stoff, der riss.
»Also gut!«, schrie Weber und tastete mit seinen gebrochenen und verbogenen Fingern nach Pendergasts Hand. »Ich rede!«
»Machen Sie schnell. Dieser billige Schlips hält nicht mehr lange.«
»Sie … sie verlässt heute Abend das Land.«
»Wohin? Auf welchem Weg?«
»Privatflugzeug. Fort Lauderdale. Pettermar Airport. Einundzwanzig Uhr.«
Mit einem letzten gewaltsamen Ruck zog Pendergast Weber ins Büro zurück.
»Scheiße!«, rief Weber auf Deutsch, während er, in Fötusstellung auf dem Boden liegend, seine ruinierten Hände gegen den Bauch drückte. »Und wenn mein Schlips komplett gerissen wäre?«
Das Lächeln des Mannes wurde einfach nur breiter. Und plötzlich begriff Weber: Das war jemand, der sich so weit an der Grenze zum Wahnsinn befand, wie man sein konnte, wenn man gerade noch so als zurechnungsfähig gelten wollte.
Pendergast trat einen Schritt zurück. »Wenn Sie mir die Wahrheit gesagt haben und ich meine Frau ohne Zwischenfälle zurückbekomme, müssen Sie nicht befürchten, mich noch einmal zu sehen. Aber sollten Sie mich getäuscht haben, statte ich Ihnen noch einen Besuch ab.«
Als er sich gerade zur Tür umdrehen wollte, hielt Pendergast kurz inne. Er lockerte seine Krawatte, knotete sie auf und warf sie Weber hin. »Hier, das ist das einzig Wahre. Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen über ›den kürzesten Weg nehmen‹ gesagt habe.« Und mit einem letzten kalten Lächeln schlich er sich aus dem Büro.
45 Stunden später
Pettermar Airport. Pendergast hatte knapp sechs Stunden Zeit, um tausend Kilometer zurückzulegen.
Ein kurzer Internetcheck der Flughäfen in der Nähe zeigte, dass so kurzfristig weder Linien- noch Charterflüge zu bekommen waren. Er würde die Reise mit dem Auto antreten müssen.
Er war nach Atlanta geflogen und hatte vom Flughafen ein Taxi in die Stadt genommen. Er würde einen Wagen mieten müssen. Nachdem er ein paar Häuserblocks von der Peachtree entfernt eine exklusive Autovermietung entdeckt hatte, entschied er sich für einen
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