Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
an die Wand gekettet wurde, dann drehte er sich wieder zu dem Agenten um.
»Offenbar sind Sie ein Mensch, der von großer wissenschaftlicher Neugier besessen ist«, sagte er. »In dieser Hinsicht sind Sie nicht anders als wir. Also: Haben Sie irgendwelche Anmerkungen zu machen? Irgendwelche Fragen zu stellen? Denn sobald wir beginnen, werden Sie keine Gelegenheit zum Sprechen mehr haben.«
»Wo ist Tristram?«, fragte Pendergast. »Ist er am Leben?«
»Tristram? Sie haben dem Schwächling also einen Namen gegeben. Wie nett. Wie familiär von Ihnen. Wenn Sie, wie ich annehme, von Siebenundvierzig sprechen, so ist er selbstverständlich am Leben. Er ist ja der Träger von Albans Ersatzteilen. Aus diesem Grund, und allein aus diesem Grund, ist er ein sehr wichtiger Junge. Seien Sie versichert, er ist sicher in den Schoß der Familie zurückgekehrt. Sein Augenblick der Freiheit hat ihn ein wenig entdomestiziert, aber er wurde wieder gezähmt, und jetzt geht es ihm bestens.« Fischer machte eine Pause. »Tatsächlich diente seine Entführung und Rückkehr drei Zwecken. Sie brachte ihn zu uns zurück, als zukünftige Organbank für Alban. Außerdem wussten wir, dass diese Entführung Sie anziehen würde wie eine Motte das Licht. Und zugleich war die erfolgreiche Entführung von Siebenundvierzig aus Ihrem Haus, aus Ihrer Vormundschaft, eine passende Endphase unserer Arbeit. Welch bewundernswert effizientes Vorgehen! Wie könnte man das ausdrücken? Drei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«
»Die Endphase Ihrer Arbeit«, sagte Pendergast tonlos. »Sie haben die Formulierung schon einmal benutzt. Ich nehme an, Sie beziehen sich da auf etwas, das Sie als Betatest bezeichnen?«
Einen kurzen Augenblick wirkte Fischer überrascht. Dann lächelte er. »Ausgezeichnet, ausgezeichnet. Ja, ich habe mich auf unseren Betatest bezogen.«
»Worin besteht er genau?«
»Sicherlich können Sie die Antwort darauf bereits erahnen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert treten wir nun in die Fußstapfen von Dr. Mengele und Dr. Faust und setzen ihre bedeutenden Zwillingsforschungen fort.«
»Forschungen, die an hilflosen Opfern begangen wurden, die in Konzentrationslagern inhaftiert waren«, sagte Pendergast.
»Forschungen, die im Laufe dieses unglückseligen Krieges begannen und die wir später hier in Brasilien fortführten. Arbeit, die jetzt vollständig beendet ist – zum Teil dank Ihnen.«
»Und die zugrundeliegenden wissenschaftlichen Grundsätze?«, fragte Pendergast kühl.
Fischer legte den Finger ans Kinn. »Simpel in der Theorie, ungemein schwierig in der Praxis. Im Anschluss an die Empfängnis, nach der ersten Zellkernteilung, werden die beiden Tochterzellen getrennt und beginnen sich unabhängig voneinander zu entwickeln, was den Weg zu identischen Zwillingen eröffnet. Wenn die beiden Embryos das Maulbeerstadium erreichen, beginnt die wirklich heikle Arbeit. Wir initiieren einen Prozess, um das genetische Material zwischen den Embryos zu transferieren. Im guten Embryo verstärken wir das Erbgut mit dem allerbesten aus dem anderen, wir werfen das minderwertige Zeug raus, das wiederum in den schlechten Embryo kommt.«
»Aber wenn es sich um identische Zwillinge handelt«, fragte Pendergast, »warum gibt es dann überhaupt Unterschiede zwischen den beiden Embryonen?«
Ein Lächeln erhellte Fischers attraktive Gesichtszüge. »Ah, Mr. Pendergast, Sie haben genau die zentrale Frage gestellt, mit der unsere Wissenschaftler seit Jahren ringen. Die Antwort ist folgende: Das menschliche Genom trägt drei Milliarden Basenpaare. Selbst zwischen eineiigen Zwillingen gibt es Fehler: schlechte Kopien, umgekehrte Sequenzen und so weiter. Wir verstärken diese Variation, indem wir das unbefruchtete Ei und das Spermium vor der Vereinigung ein wenig bestrahlen. Nicht so sehr, um ein Monster zu schaffen, nur genug, damit wir die Variation erhalten, die wir benötigen, um Gene auszutauschen. Statt die Gene willkürlich zu mischen und passend zu machen, wie es die Natur auf so primitive Weise tut, können wir also einen Mann oder eine Frau nach sorgfältigen Spezifikationen konstruieren.«
»Und der ›schlechte‹ Embryo?«
»Nichts wird vergeudet. Der schlechte Embryo entwickelt sich ebenfalls zu einem Säugling. Ihr, äh, Tristram ist hierfür ein Musterbeispiel.« Fischer kicherte. »Er oder sie wird großgezogen, um körperliche Arbeit in den Lagern und auf den Feldern zu leisten, als nützliches und erfülltes Mitglied der
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