Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
Assistent leise mit ihr und reichte ihr eine lange, fies aussehende Kanüle.
D’Agosta spürte, wie er ganz starr wurde. Was war das denn? Er hasste Kanülen.
Pizzetti beugte sich über den Schädel. Das Schädeldach war bereits abgenommen, das Hirn entfernt worden. War die Sache damit nicht erledigt? Was machte sie denn da?
Während er zusah, streckte sie die Hand aus, öffnete mit dem Daumen das eine Auge und schob die Kanüle hinein.
D’Agosta hätte schneller wegschauen sollen, aber er hatte es nicht, und der Anblick, wie sie die Kanüle in das hellblaue, starrende Auge stach, führte dazu, dass sich sein Magen auf höchst unangenehme Weise verkrampfte. Normalerweise nahm man die Proben der Augenflüssigkeit für die toxikologischen Tests am Beginn der Obduktion und nicht am Schluss.
D’Agosta tat, als würde er in seinen Mundschutz husten, und wandte den Blick ab.
»Wir sind fast fertig, Lieutenant«, sagte Pizzetti. »Wir mussten nur noch eine weitere toxikologische Probe entnehmen. Haben beim ersten Mal nicht genug bekommen.«
»Okay. Prima. Kein Problem.«
Sie warf die Kanüle in einen Müllsack für medizinische Abfälle und reichte die Spritze, gefüllt mit einer gelblich orangefarbenen Flüssigkeit, ihrem Assistenten. Dann trat sie einen Schritt zurück und blickte sich um. Sie streifte die beschmutzten Handschuhe ab, warf sie in den roten Müllsack, zog den Mundschutz herunter und hakte ihr Headset los. Ihr Assistent reichte ihr ein Klemmbrett.
Sie war wirklich nervös. D’Agosta hatte Mitleid mit ihr: jung, neu im Job, wahrscheinlich ihr erster großer Fall. Machte sich Sorgen, ihr könnte ein Fehler unterlaufen. Aber danach zu urteilen, was er vor sich ausgebreitet sah, hatte sie gute Arbeit geleistet.
Sie begann das Briefing mit den üblichen Angaben: Größe, Gewicht, Alter, Todesursache, besondere Körpermerkmale, alte Narben, allgemeiner Gesundheitszustand, krankhafte Veränderungen. Ihre Stimme klang angenehm, wenn auch etwas gepresst. Der Fingerabdruckexperte machte sich Notizen. D’Agosta zog es vor, zuzuhören und sich alles genau zu merken; wenn er sich Notizen machte, übersah er oft Dinge.
»Nur eine Verletzung hat zum Tod geführt: die im Hals«, sagte sie. »Kein Gewebe unter den Fingernägeln. Vorläufige toxikologische Tests alle negativ. Keinerlei Hinweise auf einen Kampf.«
Im Folgenden beschrieb sie detailliert die Tiefe, den Winkel und die anatomischen Gegebenheiten der Stichwunde. Das ist ein planvoll agierender, intelligenter Mörder, dachte D’Agosta, als er hörte, wie effektiv die tödliche Verletzung das Verbluten der Leiche ausgelöst, das Opfer sofort zum Schweigen gebracht und dazu geführt hatte, dass es sehr schnell ausblutete; das alles ausgeführt mit einem rasiermesserscharfen Messer mit einer etwa zehn Zentimeter langen zweischneidigen Klinge.
»Der Tod«, schloss sie, »trat binnen dreißig Sekunden ein. Alle anderen Schnitte wurden postmortal durchgeführt.« Ein Innehalten. »Die Leiche wurde mittels einer Stryker-Säge zerstückelt, möglicherweise einer, die der hier neben mir sehr ähnelt.« Sie zeigte auf eine Säge, die auf einem Gestell neben der Leiche lag. »Die Stryker hat ein keilförmiges Kettenblatt, das sich bei hoher Geschwindigkeit vor- und zurückbewegt, und wird von Druckluft angetrieben. Sie ist speziell dazu entworfen, um durch Knochen zu schneiden, aber sofort anzuhalten, sobald sie auf weiches Körpergewebe trifft. Außerdem ist sie dafür ausgelegt, dass es beim Schneiden nicht zu Knochenabsplitterungen oder zum Herumspritzen von Weichteilen kommt. Der Täter scheint sich mit der Säge gut auszukennen. Außergewöhnlich gut.« Sie hielt erneut inne.
D’Agosta räusperte sich. Das Rumoren im Magen war noch immer da, aber wenigstens drohte es nicht sich auszuweiten. »Beim Täter könnte es sich also um einen Rechtsmediziner oder orthopädischen Chirurgen gehandelt haben?«
Langes Schweigen. »Es ist nicht meine Aufgabe zu spekulieren.«
»Ich möchte nur Ihre spontane Meinung hören, Doktor. Ich verlange keine wissenschaftliche Schlussfolgerung. Ich werde es nicht gegen Sie verwenden. Also, was meinen Sie?« Er bemühte sich um einen sanften Tonfall, damit sie sich nicht bedroht fühlte.
Wieder ein Zögern. Allmählich bekam D’Agosta eine genauere Vorstellung davon, warum Pizzetti so angespannt war: Vielleicht fragte sie sich, ob es sich bei dem Mörder um einen Kollegen handelte. »Es kommt mir vor, als hätte die
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