Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
hatte darüber berichtet.
Auf einer bestimmten Ebene war er jedoch – auch wenn er sich das nur sehr ungern eingestand – gar nicht so unzufrieden, dass er hier war. Der Abteilungschef hatte ihm den Fall übertragen und ihn zum Leiter des Ermittlungsteams ernannt. Somit war es »sein« Verbrechen, sein Baby.
Er schritt durch die Tür mit dem berühmten lateinischen Satz: TACEANT COLLOQUIA. EFFUGIAT RISUS. HIC LOCUS EST UBI MORS GAUDET SUCCURRERE VITAE. »Das Reden verstumme, das Lachen entfliehe, denn dies ist der Ort, wo der Tod sich erfreut, beizustehen dem Leben.« Was D’Agosta mit einer gewissen Genugtuung daran denken ließ, wie gut in seinem Leben gerade alles lief. Seine Herzverletzung war fast vollständig geheilt, seine Beziehung mit Hayward war auf dem richtigen Weg, seine Ex-Frau war von der Bildfläche verschwunden, er stand mit seinem Sohn in regelmäßigem Kontakt, und seine etwas unsolide Beschäftigungsbiographie sowie die Disziplinarmaßnahmen gehörten inzwischen der Vergangenheit an. Das einzige ungelöste Problem stellte Pendergast und dessen Jagd nach seiner entführten Ehefrau dar. Aber wenn einer auf sich selbst aufpassen konnte, dann Pendergast.
D’Agostas Gedanken kehrten zum vorliegenden Fall zurück. Dieser bedeutete mehr als nur eine Chance, er markierte einen Scheideweg in seiner Karriere, einen Neuanfang. Vielleicht sogar den ersten Schritt auf seinem Weg zum Chef.
Mit diesen Überlegungen betrat er den Hauptgang des Gebäudes für Rechtsmedizin, zeigte einer der Schwestern zur Begrüßung nur kurz seinen Ausweis, schrieb sich ein und begab sich zum Obduktionsraum 113. Davor zog er sich die vorschriftsmäßige Kleidung an, dann betrat er den Raum – um festzustellen, dass er genau den richtigen Zeitpunkt gewählt hatte.
Die zerstückelte Leiche lag auf einer Tragbahre. Auf einem zweiten Leichentisch daneben lagen, mit militärischer Präzision aufgereiht, die fehlenden Teile, große und kleine, die vom Leichnam abgetrennt worden waren, dazu Tupperdosen mit den verschiedenen Organen darin, die die forensische Pathologin im Laufe der Obduktion entnommen hatte.
Die Pathologin nahm gerade das letzte Organ – die Leber – in die Hand, das aus der Körperhöhle entfernt und in den dafür vorgesehenen Behälter gelegt werden sollte.
Um die Leiche herum standen zwei Angehörige aus D’Agostas neu zusammengestelltem Team: Barber, der Tatort-Ermittler, und der Fingerabdruckexperte, dessen komischen Namen er sich nie merken konnte. Barber war in Topform, fröhlich und gut gelaunt wie immer, und nahm mit seinen babybraunen Augen alles in Augenschein. Die Miene des Fingerabdruckexperten – wie zum Teufel hieß der noch gleich? – ließ auf bedeutende Neuigkeiten schließen. Es ärgerte D’Agosta, dass sich die beiden anscheinend gar nicht so unwohl fühlten. Wie machten die das?
Er versuchte, sich nicht an den Details aufzuhalten, indem er den Blick mal hierhin und mal dorthin richtete und auf keinem Gegenstand im Speziellen verweilen ließ. Unter den gegebenen Umständen fühlte er sich ziemlich gut: Am Morgen hatte er, zum Ärger seiner Lebenspartnerin Laura, sein Lieblingsfrühstück – Französischen Toast mit Challah-Brot –, sogar Orangensaft und Kaffee abgelehnt und sich mit einem Glas italienischem Mineralwasser begnügt.
Begrüßungsgemurmel, Kopfnicken. Im Obduktionskittel und mit Mundschutz erkannte er die forensische Pathologin nicht, die immer noch Daten in ihr Headset sprach. Es war zwar schwierig, viel von der Frau zu erkennen, aber er sah, dass sie jung und auffallend hübsch war und glänzende, straff nach hinten gezogene Haare hatte. Doch sie wirkte angespannt, unsicher.
»Doktor, ich bin Lieutenant D’Agosta, der Leiter des Ermittlungsteams«, begrüßte er sie.
»Dr. Pizzetti. Ich bin die neue forensische Pathologin.«
Prima. Italienische Abstammung. Ein gutes Omen. Dass sie neu war, erklärte ihre Nervosität.
»Könnten Sie mich, wenn’s geht, einweihen, Dr. Pizzetti?«
»Natürlich.« Sie begann, die Leichenteile aufzuräumen, und diktierte ihre letzten Beobachtungen. Die Leiche lag auf der Bahre wie ein locker zusammengesetztes menschliches Puzzle, und jetzt legte sie einige der Teile, die im Laufe der Obduktion verschoben worden waren, an ihren angestammten Platz, so dass der Körper wieder eine einigermaßen menschliche Form erhielt. Sie rückte einige Organe zurecht, verschloss einige noch offene Tupperdosen mit Deckeln. Und dann redete ihr
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