Pendragon - Der Anfang
erklang Osas Stimme aus der Tiefe.
Ich beugte mich vor und zerrte an der Leiter, um ihre Stabilität zu überprüfen. Dann schwang ich die Beine über die Brüstung, hielt mich an den Holmen fest und kletterte nach unten. Gut, dass es so dunkel war, denn wenn ich bis zum Boden hätte sehen können, hätte ich den Abstieg vielleicht nicht gewagt. Die Leiter bestand aus jungen Baumstämmen und war grob zusammengezimmert, aber stabil. Nach einigen Metern endete sie auf einem Felsvorsprung. Doch ich war noch nicht am Ziel. Eine zweite Leiter führte von dort hinab, und da Osa nicht hier war, nahm ich an, dass sie weitergeklettert war. Tatsächlich musste ich fünfzehn Leitern hinuntersteigen. Auf jedem dritten Felsvorsprung führte ein Tunnel in den Berg hinein. Vermutlich handelte es sich um stillgelegte Gänge.
Endlich erreichte ich den Boden, wo Osa mich erwartete.
Dort unten gab es Licht. Überall brannten kleine Kerzen. Sie verbreiteten nicht gerade strahlende Helligkeit, aber als sich meine Augen daran gewöhnt hatten, konnte ich ziemlich gut sehen. Wieder zweigte ein Gang vom Schacht ab, und Osa ging voraus. Gehorsam folgte ich ihr. Wir schritten durch einen Tunnel, der direkt aus dem Felsen gehauen war. Ich konnte aufrecht gehen, aber Osa musste sich ein wenig bücken. Wie gut, dass ich nicht an Klaustrophobie litt.
»Der Hauptschacht wurde vor vielen Generationen angelegt«, erklärte sie. »Doch als man hier unten eine besonders reiche Glaze-Ader entdeckte, beschlossen die Bergleute, anders vorzugehen.«
»Was beschlossen sie?«, erkundigte ich mich.
Osa musste nicht mehr antworten. Nach wenigen Schritten bot sich uns ein erstaunlicher Anblick. Der Gang endete in einer Höhle von gewaltigen Ausmaßen. Die Decke war ungefähr dreißig Meter hoch. Es sah einfach unglaublich aus! Viele andere Gänge mündeten in der Höhle. Es war, als stünden wir an der Nabe eines riesigen Wagenrades, und die Tunnel gingen wie Speichen
davon ab. In jedem Gang entdeckte ich Miniaturgleise. Ich hatte Bilder von Goldminen gesehen und nahm an, sie waren für die Grubenloren gedacht.
»Als man herausfand, dass es hier unten Glaze gab, wurden Tunnel in alle möglichen Richtungen gegraben«, erklärte Osa. »Es gibt kilometerlange Gänge. Alles ist so kompliziert, dass sich auch Bergleute schon verlaufen haben und tagelang umherirrten.«
Ich musste zugeben, es war beeindruckend. Vor allem weil die Männer nur mit den Händen arbeiteten. Keine Spur von Maschinen. Wir standen am Rand der Höhle und beobachteten, was um uns herum geschah. Überall wimmelte es von Arbeitern. Einige schoben Karren, die mit Gestein gefüllt waren, andere leerten sie in der Mitte der Höhle aus und siebten das Fördergut nach Glaze-Stücken durch. Außerdem hörte ich das ferne Klirren der Spitzhacken, mit denen die Milago sich auf der Suche nach den kostbaren Steinen durch den Berg kämpften.
»Die Männer arbeiten Tag und Nacht«, fuhr Osa fort. »Es ist die einzige Möglichkeit, Kagans hohe Forderungen zu erfüllen.«
Sie bückte sich und hob ein Werkzeug auf. Es war eine Spitzhacke aus Metall mit einem hölzernen Griff. »An der Oberfläche sind Metallwerkzeuge verboten. Auf die Benutzung steht die Todesstrafe.«
Jetzt, da sie es erwähnte, fiel mir auf, dass ich bisher wirklich noch nichts aus Metall gesehen hatte. Sämtliche Werkzeuge bestanden aus Holz oder Stein. Offenbar versuchten die Bedoowan die Milago auf Steinzeitniveau zu halten – außer wenn es um Glaze ging.
Jetzt bemerkte ich einen eigenartigen Geruch in der Mine. Er war nicht abstoßend, eher süßlich. »Wonach riecht es hier?«, fragte ich.
Osa antwortete nicht, bedeutete mir nur, ihr zu folgen. Wir durchquerten die Höhle und mussten dabei immer wieder über
Gleise klettern. Als wir uns der anderen Seite näherten, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Im Dämmerlicht, das hier unten herrschte, hatte ich es vorher nicht bemerkt, aber jetzt stand ich genau davor. Ehrlich gesagt, ich wünschte mir, der Anblick wäre mir erspart geblieben. Auf dem Boden der Höhle lagen Dutzende von Bergleuten. Sie sahen schrecklich aus. Einige stöhnten vor Schmerzen, andere lagen mit leeren Blicken da.
»Sie sehen krank aus«, stellte ich fest.
»Sie sind krank«, antwortete Osa traurig. »Der Geruch stammt von einem Gas, das freigesetzt wird, wenn man Glaze aus dem Fels schlägt. Es ist giftig und lähmt die Atemwege.«
»Wir atmen Giftgas ein?«, fragte ich und war drauf und dran,
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