Penelope Williamson
Blaue Anker.« Er
musterte die Gäste eingehend und sagte: »Hoher Herr, das macht vier Schillinge
für die Nacht und das Abendessen. Zwei Schillinge für das Pferd und die
Ochsen.«
Tyl nickte und ließ sich Salz und Wasser bringen, um damit seinem
Hengst den Hals abzureiben. Die Hookers stiegen vom Wagen. Elizabeth wirkte
erschöpft und müde. Wortlos eilte sie ins Haus. Delia wollte ihr folgen, aber
Tyl hielt sie an der Schulter fest.
Mit einem Blick auf ihre zerkratzten, blutenden Füße sagte er:
»Ich werde sie dir verbinden.«
»Danke, das kann ich selbst.«
Er preßte die Lippen zusammen und holte tief
Luft. Da wußte sie, daß er sich nur mühsam beherrschte. Es gefiel ihr nicht,
wenn sie ihn zornig machte. Sie fürchtete jedoch, wenn sie auch nur eine Spur
freundlicher zu ihm wäre, würde er sie durchschauen. Er würde begreifen, daß er
ein Grund dafür war, daß sie nach Merrymeeting wollte. Natürlich hätte er
Mitleid mit ihr und ihren albernen und aussichtslosen Träumen. Aber genau das
würde sie nicht ertragen.
»Gibst du jetzt zu, daß ich heute morgen recht hatte und es besser
gewesen wäre, wenn du mit mir geritten wärst?« fragte er. »Ich gebe nichts zu!«
Er griff nach ihrem Kinn und zwang sie, ihm in
die Augen zu sehen. Unwillkürlich lief ihr ein Schauer über den Rücken. Er
lächelte sie an, und Delia hätte am liebsten geweint.
»Was hast du denn?« fragte er, und seine Stimme klang plötzlich
sanft. »Warum bist du denn jetzt schon wieder wütend?«
»Lassen Sie mich in Ruhe ...«
Sie macht sich von ihm los und rannte zur Tür, die laut quietschend
aufging, als Delia heftig dagegenstieß. Tyl blieb wie angewurzelt stehen und
kämpfte mit seinen widersprüchlichen Gefühlen. Einerseits hätte er sie am
liebsten gepackt und geschüttelt, bis sie zur Vernunft kam, aber noch lieber
hätte er seinen Mund auf ihre trotzigen Lippen gepreßt ...
Tyl schüttelte sich und tat nichts von beidem. Er ging zu Caleb
Hooker, half ihm die Ochsen auszuspannen, machte dabei aber halblaut ungnädige
Bemerkungen über Frauen, Fliegen und andere lästige Wesen.
Eine Stunde später saßen sie an einem klapprigen Tisch in der
Wirtsstube. Eine mürrische Frau brachte ihnen Maisbrei und Rum in Gläsern.
Als Delia das Essen sah, knurrte ihr der Magen. »Bei Gott«, murmelte
sie, »mein Hunger ist so groß wie die Sünde.« Als sie den Kopf hob, blickten
die anderen sie an. Elizabeth wirkte schockiert, Tyl runzelte die Stirn, nur
der Reverend lachte.
»Dann bist du genauso hungrig wie ich«, sagte
er.
Delia stimmte in sein Lachen ein und griff nach dem Löffel. Aber
noch ehe sie den ersten Bissen zum Mund geführt hatte, hörte sie Caleb Hooker
beten: »Für alle DEINE Speisen, o Herr, wollen wir DIR in Christi Namen danken.
Amen.«
Delia ließ den Löffel schnell wieder sinken.
Unter den ehrfürchtig gesenkten Lidern sah sie, daß die anderen natürlich
ihren Fehler bemerkt hatten. Als Tyl auch noch den Kopf schüttelte, wurde es
Delia einfach zuviel, und sie wollte aufspringen. Dabei stieß sie gegen ein
Tischbein, ihr Rumglas fiel um, der Rum lief quer über den Tisch und tropfte
Tyl auf die Hose.
»Zum Teu ...« Er sprang auf und drückte die
Serviette auf seine Hose, wo ein großer dunkler Fleck zu sehen war. Als er den
Kopf hob, grinste Caleb, und Tyl wurde vor Verlegenheit über und über rot.
Langsam setzte er sich wieder und sagte drohend zu Delia: »Das
wirst du mir büßen ...«
»Ich habe es nicht mit Absicht getan ... Dr.
Savitch, wirklich nicht.«
»Das kann jeder sagen.«
Delia löffelte langsam ihren Brei. Sie hatte Tyl beweisen wollen,
daß sie wie eine Dame essen konnte. Sie hatte nicht mit vollem Mund reden oder
lachen wollen, aber jetzt war alles noch viel peinlicher. Verstohlen blickte
sie auf Elizabeth, die den Maisbrei in winzigen Portionen aß und sich nach
jedem Bissen die zierlichen Lippen mit der Serviette abwischte.
Das werde ich nie können, dachte sie verzweifelt. Ich werde mich
nie wie eine richtige Dame benehmen, und Tyl wird immer Grund genug haben, mich
zu verachten ...
Der Hunger war ihr nach wenigen Bissen vergangen, und sie schob
den Teller von sich.
»Dr. Savitch hat mich darauf vorbereitet, mein
Liebling, daß uns in Merrymeeting nicht alle willkommen heißen werden«, sagte
Caleb zu seiner Frau, nachdem sie eine Weile schweigend gegessen hatten.
Delia sah wie versteinert zu, als Tyl sich
Elizabeth zuwandte und sie charmant anlächelte. »Keine Angst,
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