Penelope Williamson
Schulterzucken auf den Wagen. Als er
nach der Peitsche griff, sagte Elizabeth mahnend: »Caleb, solltest du nicht vor
dem Aufbruch ein Gebet sprechen?«
»Oh ... ja, natürlich.« Er faltete die Hände und neigte den Kopf:
»Möge Gottes Wille uns auf dieser Reise leiten, die wir in Demut in DEINEM Namen, o Herr, jetzt beginnen. Amen.« Er hob schnell den Kopf und lächelte Tyl
zu.
Als Tyl nickte, knallte er mit der Peitsche, und der Wagen setzte
sich quietschend in Richtung Merrymeeting in Bewegung.
Sie kamen nur sehr langsam voran. Der Weg war überwuchert von
Zehrwurz und Springkraut und voller Felsbrocken, heruntergefallener Äste und
tiefer Schlammlöcher. Immer wieder mußten sie die Gattertore der Farmen öffnen
und schließen, deren Weiden sie durchquerten.
Delia lief neben den starken roten Ochsen. Sie fühlte sich wohl in
der Nähe der großen langsamen Tiere. Der behäbige Trott wirk te irgendwie
besänftigend und versetzte sie nicht in die Erregung, die ein Ritt mit Tyl mit
sich gebracht hätte.
Tyl dagegen war so gereizt, daß sich seine
Spannung auf den Hengst übertrug, der mit angelegten Ohren und hoch aufgerichtetem
Schweif immer wieder auszubrechen versuchte. Delia verstand den Grund dieser
Unruhe nicht, die offenbar zu Tyls Wesen gehörte. Vermutlich war es das Erbe
seiner Kindheit. Schließlich hatte er zehn Jahre bei den Indianern gelebt,
bevor ihn sein Großvater in die Zivilisation zurückgeholt und zu einem
englischen Gentleman gemacht hatte. Vielleicht ließ sich ein Teil von ihm
niemals kultivieren. Und diese Seite von ihm paßte nicht so recht zu dem feinen
Herrn und Arzt, der er geworden war. Tyler Savitch blieb Delia ein Rätsel, das
sie auf dem Weg über Farmen und durch kleine, aus fünf oder sechs Häusern
bestehende Siedlungen zu lösen versuchte. Sie staunte über Gemüsegärten, die
von niedrigen Steinmauern eingefaßt inmitten von Feldern lagen. Die
hellgrünen, noch zusammengerollten Blätter der jungen Maispflanzen hatten
gerade erst die Erde durchstoßen. Einmal sahen sie ein paar Mädchen, die am Fuß
eines Hügels über einer Grube Flachs trockneten. Die Mädchen erwiderten
fröhlich winkend Delias Gruß, und sie fühlte sich so glücklich und unbeschwert,
daß sie laut lachte. Erschrocken drehte sie sich um und sah, daß Tyl sie mit
finsterem Blick anstarrte.
Vermutlich lassen sich richtige Damen ihre Gefühle nicht so
deutlich anmerken, dachte Delia und nahm sich vor, in Zukunft vorsichtiger zu
sein.
Am späten Nachmittag erreichten sie sumpfige Wiesen mit zahllosen
riesigen blauen Fliegen. Die lästigen Insekten fielen in Scharen über sie her.
Delia riß einen Ahornzweig ab und schlug damit nach den Fliegen, um wenigstens
den beiden Ochsen etwas Erleichterung zu verschaffen. Der Hals von Tyls Hengst
war bald von Stichen übersät, die sofort anschwollen. Es nützte alles nichts,
Menschen und Tiere mußten diese Plage ertragen.
Am anderen Ende des Sumpfgebietes wurde der Weg etwas breiter,
und sie erreichten eine Siedlung. Tyl erklärte, sie würden hier übernachten,
denn wenn es mit den Fliegen so schlimm sei, deute das auf ein Gewitter hin. Am
nächsten Tag werde es vermutlich in Strömen regnen, aber zumindest sei dann die
Fliegenplage vorbei.
Delia brauchte keine Fliegenschwärme, um zu
wissen, daß ein Gewitter aufzog, denn ihre geprellten Rippen schmerzten schrecklich.
Das Dorf war so jämmerlich klein, daß man von
einem Ende zum anderen hätte spucken können. Die Kirche hatte keinen Turm, und
auf der schlammigen Gemeindewiese standen nur ein paar magere Kühe. Das letzte
Gebäude war das einzige Wirtshaus. Als Tafel hing an einer rostigen Kette neben
der Tür ein grauer Anker, der sich leise quietschend im Wind bewegte. Als sie
vor dem Wirtshaus anhielten, schlug ihnen der Gestank von Schweinen und dem
Plumpsklo auf dem Hof entgegen.
Der Wirt kam heraus, kratzte sich unter der
Achselhöhle und kaute langsam auf seinem Kautabak. Er trug eine ausgefranste
Wollhose und »Bauernstiefel« – Lappen aus einer alten Decke, die um Füße und
Knöchel gewickelt und unter den Knien festgebunden waren. Ein räudiger Hund
trottete gähnend hinter dem Mann her und ließ sich neben ihm auf die Erde
fallen.
Der Wirt nickte mit dem struppigen Kopf und begrüßte sie mit einem
»Hallo, wie geht's?«, ohne den Kautabak auszuspucken.
Tyl saß ab. »Es geht so«, erwiderte er und fragte dann: »Ist das
Wirtshaus offen?«
»Aber ja, Euer Wohlgeboren. Das hier ist der
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