Penelope Williamson
zu.
Merry summte ihre Fragen schneller, als Noreen sie übersetzen konnte.
Bria blickte auf die Mädchen
und sah, wie jung sie waren und wie wenig sie wußten. Sie dachte daran, wie
allein sie bald sein würden, ihre mutterlosen Töchter, und sie hätte am
liebsten geweint.
Sie legte
das Gesicht an den Kopf des Babys und spürte seine seidigen Haare an der Wange.
Jacob war noch nicht so lange auf der Welt, daß sie sich nicht mehr an die
heftigen Schmerzen bei der Geburt erinnert hätte, an den Preis, den eine Frau
bezahlte, um Leben zu schenken, und an den schrecklichen, wunderbaren
Augenblick, an dem er ihrem Körper entrissen worden war und nicht länger ihr
allein gehörte. Ihr kleiner Sohn würde ohne sie sehr allein sein und nicht
einmal die Erinnerung an sie und ihre Mutterliebe haben, um sich in schlimmen und
einsamen Augenblicken zu trösten.
Sie blickte
auf Shay, ihren Mann. Liebe und Schmerz kämpften in ihrem Innern miteinander,
so daß sich ihr von der Kehle bis zur Magengrube alles verkrampfte. Bestimmt
war es nur flüchtiges männliches Wohlgefallen gewesen, das sie in seinem Blick
entdeckt hatte, und nicht mehr. Emma war schöner als ein Mann sich eine Frau
erträumen konnte, und Shay war durch und durch ein Mann.
Aber wenn,
aber wenn ...
Nicht,
wenn es mehr gewesen war.
Sondern
wenn es mehr werden würde.
Sie
wartete. Die Muscheln waren gesammelt, das Feuer war niedergebrannt und die
Glut mit einem Fichtenzweig von den heißen Steinen gefegt. Die Muscheln wurden
auf die Steine geschüttet und mit Seetang abgedeckt, um den Dampf nicht
entweichen zu lassen.
Sie wartete, bis das alles
getan war, und sagte dann: »Es ist ein schöner Tag, und es weht der richtige
Wind, um auf dem Wasser zu sein. Emma, würdest du Shay auf eine kleine
Spazierfahrt mitnehmen, bis die Muscheln gar
sind? Obwohl er schon auf so vielen Booten gewesen ist, bezweifle ich, daß ein
so elegantes darunter war wie deine Schaluppe.«
Ihre Worte schienen in der
eintretenden Stille widerzuhallen. Emma errötete langsam, bis ihre Wangen die
Farbe der hundertblättrigen Rosen hatten, und Bria sah, daß sie schluckte. Aber
natürlich würde sie ihrer besten Freundin eine solche Bitte nicht abschlagen.
Emma Tremayne hatte tadellose Manieren.
Brias Blick wanderte von Emma
zu Shay. Auf seinem Gesicht lag jetzt der Ausdruck unverhüllten Verlangens und
Sehnens. Aber sein Blick galt der Schaluppe.
Bria
beobachtete, wie die beiden über die kleine verwitterte Pier zu dem vertäuten
Boot gingen. Sie waren sich so nahe, daß Emmas Rock vom Wind an Shays Beine
gedrückt wurde. Doch sie blickten beide geradeaus, als seien die Antworten auf
alle Fragen der Welt in der scharfen weißen Linie am Horizont zu finden, wo das
blaue Meer und der noch blauere Himmel sich trafen.
Bria konnte nicht erkennen oder
hören, ob sie miteinander sprachen, während sie die Segel setzten und ablegten.
Sie vergrub das Gesicht in dem kleinen Bündel auf ihren Armen, sog den warmen
Atem des Babys ein und fuhr mit der Nase leicht über seine Wange.
Als sie wieder aufblickte, sah
sie von dem Boot nur noch die weißen Segel, die wie Schmetterlingsflügel über
dem blauen Wasser der Bucht flatterten.
Shay holte die Klüverschot dicht, als die Schaluppe wendete,
und hakte mit geschickten Bewegungen die Leine ein. Das gut getrimmte Boot lief
mit voll stehenden Segeln am beständigen starken Wind. Die Geräusche der Ikarus klangen in seinen Ohren wie die Musik eines fein gestimmten Instruments,
das sie tatsächlich auch war. Das Knarren des Rumpfs, das Klopfen der Wanten am
Mast, das Flattern des Lieks am Großsegel, wenn das Boot zu hart vor dem Wind
lief.
Er ließ
den Kopf nach hinten fallen, schloß die Augen und spürte, wie die Sonne sich
tief in seine Lider, tief in seinen Körper hineinbrannte. Er spürte die Neigung
und die Spannung des Decks unter seinen Füßen, hörte das Klatschen und
Schmatzen des Wassers am Bug, und er erlebte einen Augenblick des reinen,
ungetrübten Glücks.
Er öffnete
die Augen, drehte den Kopf und sah, daß Emma schnell den Blick abwandte, als
wollte sie nicht dabei überrascht werden, wie sie ihn betrachtete. Sie saß im
Heck und hatte die Hand an der Ruderpinne. Die Sehnen und Knochen ihres
Handgelenks bewegten sich unter der Haut. Er wußte, es kostete Kraft, das Ruder
bei einem solchen Wind zu halten.
»Das ist ein schnittiges
kleines Boot, Miss Tremayne«, sagte er. Und das entsprach der Wahrheit. Es
hatte bestimmt
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