Penelope Williamson
daß ihnen das Auge nicht folgen
konnte, und die Schläge, mit denen sie den Sack trafen, erinnerten an den unbarmherzigen
Herzschlag des Lebens.
»Er hat
keinen Hängebauch.« Bria lachte.
»Nein«,
bestätigte Emma, doch sie sah ihn nicht an.
Shay hörte
auf zu boxen. Er griff mit beiden Händen, um die Lederriemen gewickelt waren, nach dem Sandsack, damit er nicht weiter
hin und her schwang. Er atmete schwer und tief, so wie er es manchmal tut, wenn
wir uns lieben, dachte Bria.
Der Schweiß
glänzte auf seiner Haut, verklebte die dunklen Haare um seine Brustwarzen zu
Wirbeln, tropfte langsam in Rinnsalen über seinen flachen Bauch und verschwand
im feuchten Bund der Hose. »Bria, mein Schatz!« rief er. Er hatte den Sandsack
so finster angestarrt, als sei er ein Gegner, den er mit seinen Hieben in die
Knie zwingen wollte. Doch jetzt hellte sich sein Gesicht auf, und er lächelte.
»Was willst du denn hier?«
Sie
lächelte ebenfalls, obwohl ihr überraschenderweise die Tränen kamen und sie ihn
nur verschwommen sah. Sie liebte ihn einfach so sehr. »Ich habe mich in eine
lüsterne Sirene verwandelt, die dir die Sinne rauben wird. Danach werden wir
dich allerdings zur Parade mitnehmen.«
»Mir die Sinne rauben, sagst
du?« Er trat näher an sie heran und machte eine Unschuldsmiene. »Küß mich
lieber.«
Bria hob
die Hände vor das Gesicht und wich mit gespieltem Entsetzen zurück. »Du meine
Güte! Dieser Mann bringt noch alle soweit, daß sie glauben, ich sei in ihn
verliebt.«
Shay
wandte sich seinen Töchtern zu und drückte sie so fest an sich, bis sie
quiekten und lachten. In diesem Augenblick sah Emma ihn an.
Es war nur
ein flüchtiger Blick.
Doch ihre Augen machten ihm
eine Liebeserklärung. Und Bria mußte sich abwenden.
O dieser
Schmerz! Dhia, es ist, als halte ich aus Übermut die Hand ins Feuer, um
zu sehen, ob ich die Glut spüre und die Hitze ertragen kann. Aber dann dachte
Bria daran, wie schwer diese Situation auch für Emma sein mußte. Das Herz ihrer
armen Freundin hatte sich in den Schlingen einer ungewollten Liebe verfangen.
Und Shay –
was immer er auch empfand, Bria bezweifelte, daß sie es jemals mit Sicherheit
wissen würde. Seine tiefsten Gefühle hatten sich schon immer hinter der Härte
versteckt, die zu seinem Wesen gehörte. Zu diesem verborgenen Kern hatte sie
nie vordringen kön nen. Manchmal achtete er ebensosehr wie Emma
darauf, sie nicht anzuschauen. Dann hielt er den Kopf so steif, wie er es
morgens tat, wenn er am Abend zuvor zuviel Poitín getrunken hatte. Doch
an anderen Tagen war er sehr freundlich zu ihr. Er machte Späße und behandelte
sie eher wie eine seiner Töchter oder vielleicht wie eine Schwester.
Doch er
berührte sie nie, nicht einmal auf eine unschuldige Art. Bria vermutete, daß
Shay, solange sie lebte, seinen starken Willen aufbieten würde, um nichts für
sie zu empfinden. Aber danach ... Ja, es war der Gedanke an danach, an alles,
was vielleicht werden würde. Und diese Vorstellung gab ihr Hoffnung, aber sie
bereitete ihr auch große Qual.
»Beeil
dich, Papa«, sagte Noreen. »Wir verpassen sonst noch die Parade.«
Shay legte seiner Tochter die
Hand auf den Kopf, und Bria sah, daß sie geschwollen war. »Warum geht ihr nicht
schon vor. Ich komme nach, sobald ich mich gewaschen habe.«
Er griff
mit einer schnellen Bewegung ein Handtuch, das über einem Klappstuhl hing, und
legte es sich um die nackten Schultern. »Einen guten Tag, Miss Tremayne«, sagte
er und schlenderte in seiner typischen lässigen Art davon. Sie sahen ihm nach.
Selbst Emma beobachtete ihn, aber sie schien sich in eine unberührbare, kalte,
schöne Marmorstatue verwandelt zu haben.
Sie gingen
wieder hinaus auf die Thames Street, denn der Zug sollte auf seinem Weg vom
Bahnhof hier vorbeikommen. Sie konnten schon die Fiedeln und die Hornpfeifen
hören und das schnelle, rhythmische Stampfen von Fußspitzen und Absätzen der
irischen Tänzer.
Die Sonne
über der Bucht war so stark, daß Dampf vom Wasser aufstieg und die Luft über
der ungepflasterten Straße vibrierte. Ein Mann schob einen Karren durch die
Menge. Er verkaufte gesalzene spanische Erdnüsse und Popcorn. Es roch
wundervoll.
Der Zug tauchte in dem Moment
auf, als Shay zu ihnen stieß. Er war hemdsärmlig und hatte die Jacke über eine
Schulter gehängt. Aber zur Feier des Tages trug er einen Kragen und hatte eine
Krawatte umgebunden. Seine Haare waren noch
feucht, und die geröteten Wangen glänzten vom Rasieren.
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