Penelope Williamson
Er sah so gut aus, als
er neben Bria trat und ihr den Arm um die Hüfte legte, daß sie den Atem
anhalten, ja die ganze Welt anhalten wollte.
Die Parade
hatte vor allem den Zweck, den Primrose Minstrels, die am nächsten Tag bei der
Feier zum Vierten Juli auf der Stadtwiese auftreten würden, die Möglichkeit zu
geben, ihre Geschicklichkeit unter Beweis zu stellen. Das taten sie denn auch.
Ihre Gesichter waren mit verkohltem Kork geschwärzt, und die Metallplättchen an
ihren Schuhen schlugen einen Rhythmus, der das Blut der Iren schneller fließen
ließ. So zogen sie tanzend durch die Straße.
Es dauerte
nicht lange, bis die Iren, die in der Menge standen, sich ihnen anschlossen.
Sie hüpften und tanzten zu den klagenden Tönen der Pfeifen und dem Kratzen der
Fiedeln. Shay warf Bria seine Jacke zu und gesellte sich zu ihnen.
Er hielt
den Rücken gerade und still und legte die Arme dicht an den Körper, während
sich seine Füße schnell bewegten, klickten und klackten – Fersen, Spitzen,
Fersen, Spitzen – und eine Schuh-Musik hervorbrachten, die so alt war wie
Irland selbst. Noreens Augen funkelten vor Entzücken, als sie ihm zusah, Merry
summte und tanzte selbst ein paar Schritte, und der kleine Jacko krähte und
strampelte.
Die Truppe zog leider viel zu
schnell vorbei. Shay blieb atemlos und lachend zurück. Sie lachten alle, sogar
Emma.
Die
Zuschauer strömten auf die Straße und folgten dem Zug. In der ganzen Stadt
herrschte bereits Feiertagsstimmung. Die Bewohner von Bristol hatten offenbar
schon angefangen, den Unabhängigkeitstag zu feiern, noch bevor die Unabhängigkeit
damals 1777 gewonnen war. Sie waren stolz darauf, den großartigsten Vierten
Juli im ganzen Land zu veranstalten. Bria hörte viele Leute sagen, die Parade
morgen werde wahrscheinlich das größte Schauspiel sein, das sie im Leben zu
sehen bekommen würden.
Irgendwie
ergab es sich, daß sie in die Straße einbogen, die zur Anlegestelle der Fähre
vor der Stadt führte. Shay schob den Kinderwagen, und Bria legte zufrieden den
Arm um seine Hüfte. Hier in Neuengland war es üblich, am
Sonntagnachmittag einen langen Spaziergang zu machen. Das gefiel ihr. In
Irland gingen ein Mann und eine Frau nur ein einziges Mal im Leben zusammen
über die Straße. Das geschah am Tag ihrer Hochzeit auf dem Weg zur Kirche.
Die Sonne
schien am dunstigen Himmel und brannte heiß auf ihre Köpfe. Die Luft war schwer
und still. Die wenigen Segelboote in der Bucht tanzten wie Schwimmer von
Angelruten auf dem Wasser. Emma ging zwischen den beiden Mädchen vor Bria und
Shay her. Sie wirkte wie ein Geschöpf aus einem Zuckerbäckerladen mit ihrem
weißen Kleid, den weiten Keulenärmeln und dem großen viereckigen Kragen aus
Häkelspitze. Ihr weißer Strohhut hatte rote, weiße und blaue Federn und lange
blaue Bänder. Ein weißer Spitzensonnenschirm sprenkelte ihren Rücken mit
Punkten von Licht und Schatten.
Bria
wollte Shay gerade darauf aufmerksam machen, wie hübsch ihre Freundin aussah,
als er ihren Nacken umfaßte und mit dem Daumen leicht und zärtlich ihr
Ohrläppchen liebkoste. »Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie hübsch du
heute aussiehst, Bria?« flüsterte er. Bria fragte sich, ob ihr Mann einen
sechsten Sinn besaß und irgendwie spürte, daß ihr Herz verwundet und
zerbrechlich war. Oder hatte er tatsächlich nur Augen für sie? Bria fand sich
in ihrem neuen fliederfarbenen Musselinkleid selbst hübsch. Aber ihr Bruder Donagh
sagte oft, Shay sei ein so geschickter Schmeichler, daß selbst Gott bei
Verhandlungen mit ihm am Ende den kürzeren ziehen würde.
Bria
konnte Noreens muntere Stimme und Merrys fröhliches Summen hören. Sie lächelte
bei dem Gedanken daran, wie unbefangen die Kinder gegenüber Emma inzwischen
waren. Emma schien eine besondere Gabe im Umgang mit ihnen zu besitzen. Sie
hatte eine Art, ihnen zuzuhören, die ihnen das Gefühl gab, etwas Besonderes zu
sein.
Noreen griff nach Emmas Hand
und wies in das Dickicht der Ulmen und Birken am Straßenrand. »Sehen Sie, Miss
Emma, da ist ein Ring aus Fliegenpilzen. Kommen Sie mit, wir wollen sehen, ob
wir einen Kobold fangen können.«
»Wenn du
einen erwischst«, rief Bria, »dann laß ihn nicht eher wieder frei, bis er dir
seine Schätze gezeigt hat.«
Emma war bereits im Begriff,
Noreen zwischen die Bäume zu folgen, und raffte mit einer Hand die Röcke. Sie
drehte sich um und hielt den Sonnenschirm hinter den Kopf, so daß Bria ihr
lächelndes Gesicht sah. »Ich
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