Penelope Williamson
Mund.
An diesem
Tag glaubte sie, ihn mit einer Waffel voll Eiscreme aus einem gelb gestreiften
Zelt kommen zu sehen. Sie glaubte, ihn in der Menge zu sehen, die einen Jungen
anfeuerte, der versuchte, ein Schwein zu fangen. Sie glaubte zu sehen, daß er
mit einem Korb voller Austern zu dem Wettkampf ging, bei dem derjenige siegte,
der am schnellsten die meisten Austern aus der Schale löste.
Jedesmal, wenn sie ihn sah,
wenn ihr sekundenlang der Atem stockte, bevor sie erkannte, daß er es nicht
war, errötete sie, und ihr Herz fühlte sich groß und warm und schwer in der
Brust an.
Und dann
sah sie ihn wirklich.
Er hob
Merry auf den Rücken eines Karussell-Drachens mit grünen Schuppen und geblähten
Nüstern, aus denen orangefarbene Flammen schlugen. Noreen saß bereits auf
einem Kamel, das einen roten Fez trug.
Emma sah,
wie er nach einem Pfosten griff und sich lachend von der Plattform schwang. Aus
der Dampforgel quoll Musik hervor, das Karussell begann zu kreisen, in Emmas
Kopf drehte sich alles, und vor ihren Augen tanzten Lichtflecken.
Sie suchte
Bria in der Menschenmenge. Ihre Freundin hatte den kleinen Jacko in einem Arm
und winkte den Mädchen zu. Sie mußte Emmas Anwesenheit gespürt haben, denn sie
drehte sich um. Ihre Blicke trafen sich, und Emma sah, daß Brias freudiges
Lächeln von Herzen kam.
Emma wäre aus vielen Gründen
nie zu Shay gegangen, wenn er allein gewesen wäre. Doch bei Bria gab es kein
Zögern. Sie würde ihrer Freundin niemals aus dem Weg gehen, nicht vor Geoffrey
und nicht vor der ganzen Welt.
Emma ließ
ihre Finger an Geoffreys Arm hinabgleiten, faßte ihn an der Hand und zog ihn
mit sich. »Geoffrey, dort drüben ist Mrs. McKenna, von der ich dir erzählt habe
– meine neue Freundin, die erst vor kurzem ein Kind bekommen hat. Es ist Zeit,
daß ihr beide euch kennenlernt, findest du nicht?«
Geoffrey blickte sich sichtlich
verwirrt um, bevor er die Frau mit dem Kind bemerkte, die lachend die Hand hob
und Emma zuwinkte. Und dann sah er den Riesen von einem Mann in Hemdsärmeln und
einer abgetragenen Cordhose, der gerade zu ihr getreten war und ihr den Arm um
die Taille legte.
»Das ist deine Freundin?« fragte Geoffrey. »Ich hatte
irgendwie gedacht ...« Er beendete den Satz nicht, doch Emma wußte, was er
irgendwie gedacht hatte. In seiner Vorstellung war die Mrs. McKenna, mit der
seine Verlobte befreundet war, eine vornehme Frau und nicht eine Irin, die
offensichtlich in einer armseligen Hütte lebte.
»Sie ist
meine liebste, beste Freundin«, sagte Emma und eilte mit Geoffrey an der Hand
zu Bria. Als sie die irische Familie erreicht hatten, beugte sie sich
unbefangen vor, drückte ihre Wange an die Wange der Frau und küßte das Kind auf
die Stirn. Brias dunkle Augen leuchteten. Ihre Wangen waren frisch und rosig,
doch Emma wußte, der Schein trog. Shay hatte sie am Tag zuvor bei dem
Spaziergang nach Hause tragen müssen. Sie hatten noch nie erlebt, daß Bria
soviel Blut gehustet hatte.
»Bria«, sagte Emma und drückte
sanft die Hand ihrer Freundin, »ich möchte, daß du meinen Verlobten, Geoffrey
Alcott, kennenlernst.
Geoffrey,
das sind die McKennas, Bria und ihr Mann Seamus. Und das«, fuhr sie fort und
zog die Decke vom Gesicht des Säuglings zurück, damit Geoffrey ihn besser sehen
konnte, »das ist der kleine Jacko. Er ist etwas mehr als einen Monat alt und
gedeiht prächtig.«
»Es ist mir
ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Madam«, sagte Geoffrey und
verneigte sich in Brias Richtung. Wenn er in ihr die Fabrikarbeiterin erkannte,
die bei der letzten Fuchsjagd der Saison mit dem toten Kind erschienen war, so
ließ er sich nichts anmerken. »Sir«, sagte er mit einem Kopfnicken zu Shay.
»Und kleiner Sir«, fügte er dann hinzu und gönnte dem schlafenden Jacko die
Andeutung eines Lächelns.
»Guten
Tag, Mr. Alcott«, sagte Bria und musterte ihn mit unverhüllter Neugier. Emma
wurde plötzlich wegen ihres künftigen Ehemannes ein klein wenig verlegen,
obwohl sie beim besten Willen nicht sagen konnte, wieso. Mit seinem weißen
Leinenanzug und dem Strohhut machte er wie üblich eine gute Figur. In seinem
Verhalten wahrte er wie stets die besten gesellschaftlichen Formen.
»Es ist recht warm heute, nicht
wahr?« sagte Geoffrey, um das kurze Schweigen zu brechen, das nach der
Vorstellung entstanden war. »Schrrrecklich warm« bestätigte Shay theatralisch.
»Aber es wäre auch komisch, wenn es nicht so wäre, wo doch die Sonne am wolkenlosen
Himmel
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