Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wagnis des Herzens
Vom Netzwerk:
Gefängnisses
erinnerte. Sie hatte den Mann noch nie gesehen, doch ihr kam nicht in den Sinn,
daß er sie vielleicht nicht kennen würde. Jedermann in Bristol kannte die
Tremaynes.
    Sie
reichte ihm die Hand, obwohl sie etwas zitterte. Emma hielt sich eigentlich für
mutig und träumte davon, in die Welt hinauszufahren und sie zu erobern. In
Wahrheit konnte es jedoch geschehen, daß eine harmlose Teegesellschaft, zu der
sich Leute einfanden, die sie von Kindheit an kannte, ihr Herz heftig schlagen
ließ. Sie wußte, ihre Ängste waren unbegründet. Aber schon der Gedanke daran,
gemustert und erbarmungslos begutachtet zu werden, verursachte ihr ein flaues
Gefühl im Magen, und offenbar konnte sie nichts dagegen tun.
    Der Mann sah sie mit großen
Augen an, die hinter Brillengläsern, die so dick wie das Glas von Milchflaschen
waren, noch größer wirkten. Emma erklärte ihm, daß sie die Spinnerei
besichtigen wolle, und der Adamsapfel im mageren Hals des Mannes bewegte sich
ruckhaft auf und ab. Schließlich schluckte er nur, nickte und führte sie
schweigend zu einem Büro am Ende des Gangs. Dort überließ er sie einem Mr.
Thaddeus Stipple, einem kleinen Mann, der so rundlich und speckig war wie ein
Walroß.
    Mr.
Stipple versuchte, Emma zu erklären, daß sie die Spinnerei ganz bestimmt nicht in Augenschein nehmen wolle, denn dort sei es schmutzig, laut und voll von
Iren. Und das sei kein Anblick für eine vornehme Dame wie sie. Emma faltete die
Hände im Schoß und zwang sich, den Mann anzulächeln. Sie erinnerte ihn daran,
wer sie war – genauso wie es ihre Mutter getan hätte –, obwohl ihr dabei
peinlich bewußt wurde, daß sie sehr hochtrabend klang.
    Er
protestierte noch einmal halbherzig und erhob sich schließlich mit einem
Seufzer. Höflich forderte er sie auf, ihm in den Hof hinaus zu folgen. Dort
stieg er mit ihr eine Eisentreppe hinauf und öffnete eine blechbeschlagene Tür.
Sie standen vor einem eisernen Gittersteg. An der Decke über ihnen befand sich
ein Gewirr von Kabeln, Drähten, Rohren, Balken und Treibriemen. Aber Emma
blickte nur nach unten in die riesige Halle mit den klappernden, stampfenden
und rotierenden Maschinen.
    Dies, so
erklärte Mr. Stipple, sei der Spinnsaal. Er erläuterte ihr die 68 Maschinen: die
Zwirnmaschine, die Ringspinnbank und der Wagenspinner. Emma sah jedoch nur ein
Labyrinth von Rollen und Zahnrädern, Hebeln und sich drehenden Spulen. Das
Hämmern von Eisen gegen Eisen schmerzte in den Ohren. Der Gestank von Schweiß
und öligen Dämpfen nahm ihr den Atem. In der Halle herrschte eine schrecklich
Hitze, und die Luft war erfüllt von Baumwollstaub, so daß sie zu ersticken
glaubte.
    Es war eine
lärmende Hölle, eine Hölle mit unzähligen Kindern. Sie sah magere bleiche Mädchen
mit gebeugten Schultern in zerrissenen Kleidern. Einige waren so klein, daß
sie bei ihrer Arbeit auf Hockern und Kisten stehen mußten. Die blassen Finger
bewegten sich flink zwischen den sich drehenden Spindeln. Sie griffen nach
gerissenen Fäden, die sie schnell wieder verknüpften, bevor es zu
Verschlingungen kommen konnte.
    Emma
bemerkte einen Jungen, dessen dünne Beine so weiß waren wie Birkenzweige. Der
Kleine kroch unter eines der eisernen Ungeheuer, um die spitzen, rotierenden
Spindeln mit einer Ölkanne zu fetten. Ein anderer Junge rollte direkt unter ihr
einen ganzen Satz Spulen über den von Tabaksaft und Schmieröl glitschigen
Boden. Sie konnte sich gut vorstellen, daß er mit den nackten Füßen auf dem
schmutzigen Boden ausrutschte, die Arme beim Fallen hochwarf und von den
Zahnrädern einer Maschine erfaßt und zu Tode gequetscht wurde.
    Welche dieser Maschine war dem
irischen Jungen mit dem Namen Padraic wohl zum Verhängnis geworden?
    Es blieb
ihr unverständlich, wie sie inmitten der Maschinen und der Arbeiter in der
Halle die Frau ausmachen konnte. Vielleicht lag es an ihren roten Haaren, die
im dunstigen Licht wie eine Fackel leuchteten. Oder es kam daher, daß sie sich
als einzige nicht um ihre Maschine kümmerte, die Baumwollflocken zu langem feinen
Garn zog und um ein Dutzend rotierende Spindeln wand.
    Die Frau
blickte mit ihren dunklen, fiebrig glänzenden Augen zu Emma hinauf. Sie hatte
die roten Haare mit einer Schnur am Hinterkopf zusammengebunden, aber ein paar
Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Die Wangen wirkten bleich und durchsichtig wie
Kerzenwachs. Diesmal trug sie keinen weiten Mantel, und Emma sah, daß
sich ihr fleckiges Kleid über dem vorgewölbten Leib

Weitere Kostenlose Bücher