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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wagnis des Herzens
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spannte. Die Frau war
schwanger.
    Sie machte
einen Schritt in Emmas Richtung und hob den Kopf, als wolle sie ihr etwas
zurufen, aber ein heftiger Husten schüttelte sie. Die Frau krümmte die mageren
Schultern und drückte die Faust an die Brust, während der rasselnde Husten
ihren ganzen Körper beben ließ.
    Aus dem
fadenscheinigen Ärmel ihres abgetragenen Kleids zog sie ein Taschentuch hervor
und preßte es vor den Mund. Sie hustete immer heftiger, und Emma fürchtete, sie
werde beim nächsten Atemzug ersticken.
    Ein Mann,
es mußte ein Aufseher sein, wurde auf die Frau aufmerksam und rief ihr etwas
zu, das Emma nicht verstand. Die Frau ging zu dem Ringspinner zurück und schob
das Taschentuch wieder in ihren Ärmel. Aber Emma war nicht entgangen, daß es
blutige Flecken hatte.
    Emma beobachtete die Frau
reglos. Sie wagte kaum zu atmen und fragte sich, wie es kam, daß sie, Emma
Tremayne, in eine so reiche und vornehme Familie hineingeboren worden war.
    Warum war sie nicht diese Frau,
die in einer Baumwollspinnerei mit jedem Atemzug um ihr Leben rang?

Siebtes Kapitel
    Es kam nicht oft vor, daß ein junger Mann von achtundzwanzig
Jahren schon so genau wußte, was er mit seinem Leben anstellen wollte. Doch
Geoffrey Alcott war so ein Mann.
    Jeden
Morgen, außer an Sonntagen, ging er in sein Büro in dem alten Lagerhaus, in dem
sich der Hauptsitz der »Alcott Textiles« befand. Dort leitete er das
Familienunternehmen mit ruhiger Hand, ohne den Blick nach rechts oder links zu
wenden. Neben der Spinnerei in der Thames Street gehörten ihm in Neuengland
noch weitere acht Spinnereien. Geoffrey hätte sehr gut von den Gewinnen leben
können, ohne je einen Fuß in eine seiner Fabriken setzen zu müssen. Aber das
war nicht seine Art.
    Für ihn
war es eine Frage des Stolzes, von sich sagen zu können, daß er in der Lage
war, jede Aufgabe, für die er andere bezahlte, selbst zu übernehmen. Als er
zehn Jahre alt war, überredete er seinen Vater, ihn eine Woche als
Spulen-Jungen arbeiten zu lassen. An seiner linken Hand sah man noch immer die
Narbe, wo ihn eine rotierende Stahlspule verletzt hatte. Er konnte eine
Krempelmaschine beinahe ebenso schnell auseinandernehmen und wieder
zusammenbauen wie sein bester Maschinist. Erst im letzten Jahr hatte er eine
ganze Schicht lang an einem Ringspinner gestanden und die Fäden entwirrt und
verknüpft wie einer der niedersten Tagelöhner seiner Spinnerei.
    Geoffreys
Aufseher und Sekretäre klagten nicht selten darüber, daß er versuchte, viel zu
viel selbst zu tun. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er jede Rechnung
eigenhändig überprüft, bezahlt und gebucht. Und tatsächlich führte er die Bücher
der Spinnerei in der Thames Street mit seiner makellosen Handschrift höchst
persönlich.
    Genau zehn
Minuten vor zwölf Uhr mittags verließ Geoffrey Alcott sein
Büro im Lagerhaus und machte sich auf den Weg nach Hause. Gemächlich ging er
vom Hafen durch die Burton Street, bevor er in die Hope Street einbog. Die
Leute sagten im Spaß, daß man nach Geoffrey Alcott die Uhr stellen könne.
    An den
meisten Tagen genoß er diesen Spaziergang. An den Kreuzungen, zwischen den
Häusern und den Schaufenstern der Geschäfte konnte er das blaue Wasser des
Hafens sehen. Bei kräftigem Wind roch es wie an diesem Tag nach Fisch, Meer und
dem Rauch der Spinnerei.
    Auf dem
Weg überließ er sich meist seinen Träumen. Geoffrey Alcott war vom Glück
begünstigt und reich. Aber er hatte den Besitz von seinem Vater und Großvater
geerbt und immer schon den Ehrgeiz verspürt, etwas Eigenes zu schaffen.
    So
verwunderte es nicht, daß er in den vergangenen fünf Jahren seit dem Tod seines
Vaters die »Alcott Textiles« zu einem der größten Konzerne Neuenglands gemacht
hatte. Die Spinnereien ergänzte er durch eine Bleiche und Färbereien. Und in
diesem Jahr wollte er den Geschäftsbereich um eine Gießerei zur Herstellung von
Maschinen erweitern, die in seinen Spinnereien eingesetzt wurden.
    Gerade in
dieser Woche hatte ihn die Abendzeitung von Providence als den »Textilmagnaten
von Rhode Island« bezeichnet. Er hatte den Artikel ausgeschnitten und trug ihn
jetzt in der Brusttasche seines modisch karierten Anzugs. Beim Gehen klopfte er
von Zeit zu Zeit auf die Tasche und lächelte, wenn er das Zeitungspapier
knistern hörte.
    Als
Geoffrey die Church Street überquert hatte, erreichte er die stille Allee mit
den mächtigen Ulmen, Kastanien und Ahornbäumen. Der Lärm und die Geräusche

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