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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wagnis des Herzens
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des
geschäftigen Lebens blieben zurück, und er überließ sich den erbaulichen
Klängen des vornehmen Lebens der Reichen. Hier klapperten die Räder der
Kutschen nicht, sondern knirschten leise im Kies. Die Kohle polterte nicht über
die Rutschen in die Kohlenkisten, sondern glitt gedämpft von den Kohlewagen.
Niemand schrie oder fluchte, und die kleinen Kinder weinten nicht. Doch
manchmal drang durch die schmiedeeisernen Tore und die sorgsam geschnittenen
Ligusterhecken das Lachen von Kindern.
    Als er das
vom Efeu völlig bewachsene Haus der Carter-Schwestern erreichte, hörte er nur
das leise Quietschen eines Schaukelstuhls. Er blieb stehen, begrüßte die beiden
Damen mit einer Verbeugung und lächelte, als Miss Liluth kicherte.
    Die
Alcotts besaßen das größte und prächtigste Haus in der Hope Street. Er schritt
durch den eisernen Torbogen und erreichte die mit Marmorplatten belegte
Auffahrt. Hohe Linden säumten den Weg, und an einem sonnigen Frühlingstag wie
heute verströmten sie ihren schweren betörenden Duft. Der Geruch der blühenden Linden
im Frühling machte Geoffrey stets ein wenig traurig, obwohl er nicht wußte,
warum.
    Er blieb
am Fuß der Vorhalle stehen und ließ den Blick langsam über die zwei Stockwerke
hohen korinthischen Säulen und die palladianischen Fenster gleiten. Der Stolz
der Alcotts hatte die Architektur des Hauses geprägt, und beim Anblick des
Familiensitzes spürte er stets die Resonanz dieses Stolzes in sich.
    Geoffrey
setzte den maßgefertigten Känguruhlederstiefel auf die erste Marmorstufe, als
der durchdringende Pfiff der Spinnerei ertönte und das Glockenspiel der
Rathausuhr und der tiefe Klang der Glocke von St. Michael, die alle miteinander
wetteiferten zu verkünden, daß es zwölf Uhr Mittag war.
    Nachdem
der Wind die letzten Töne fortgetragen hatte, trat Geoffrey durch die Haustür.
Er hängte seinen Hut an den Garderobenständer und stellte den Gehstock mit dem
Eberkopf aus Elfenbein in den Elefantenfuß, der als Schirmständer diente. Dann
richtete er die Akelei in seinem Knopfloch und strich sich die Haare glatt.
    Er atmete
tief den vertrauten süßlichen und moschusartigen Geruch des Hauses ein. Manche
Leute behaupteten, dieser Geruch käme von der Bienenwachspolitur, mit der die
Olivenholztäfelung seit hundert Jahren gepflegt wurde, aber Geoffrey wußte es
besser: Es war der Geruch von altem Reichtum.
    Wie jeden
Mittag ging Geoffrey zuerst in das Damenzimmer, wo seine Großmutter inmitten
von Farnen und Kamelien in einem weißen Korbschaukelstuhl saß. Zweimal in der
Woche wurde ihr druckfrisch der Bristol Phoenix zugestellt, damit sie
die Todesanzeigen studieren und sich darüber freuen konnte, wen sie für diesmal
überlebt hatte.
    Sie wartete
bereits auf ihn, und ihre Augen in dem eingefallenen Gesicht belebten sich
etwas, als er den Raum betrat. Sie hob die Zeitung und schwenkte sie so heftig,
daß die Bänder ihrer Haube flatterten.
    »Amelia
Attwater!« kreischte sie. Die alte Frau war beinahe taub und benahm sich, als
seien alle in ihrer Umgebung das auch. »Hier steht es schwarz auf weiß – Amelia
Attwater ist tot. Sie sagen, Gehirnerweichung hat sie umgebracht, aber das ist
eine schamlose Lüge. Ihr Gehirn war schon immer so weich wie Tomatenpüree.
Warum sollte sie also ausgerechnet jetzt daran sterben? Kannst du mir das
sagen?« Er beugte sich vor und küßte die Luft in der Nähe ihrer pergamentenen
Wange, und der durchdringende Geruch von Kampfer und frischer Druckerschwärze
stieg ihm in die Nase. »Vielleicht ist das eine progressive Krankheit«,
antwortete er freundlich.
    »Unsinn!
Die Nierensteine waren die Todesursache. Als ich sie das letzte Mal bei Olivias
Beerdigung gesehen habe ... also das war eine peinliche Sache: Messing
anstatt Silber auf dem Sarg und unter den Blumen kaum ein paar weiße Blüten
..., also wenn Olivia das gesehen hätte ..., da habe ich bemerkt, daß
sie in letzter Zeit wirklich schrecklich aussah, ich meine Amelia und nicht
Olivia. Olivia sah im Sarg wie eine entsteinte Pflaume aus, weil der
Leichenbestatter ihr Gebiß vergessen hatte. Aber Amelia war so gelb im
Gesicht wie eine Quitte. Ich sage dir, mein Junge, es waren die Nierensteine.
Die Attwaters können sich natürlich mit so etwas Gewöhnlichem, wie Nierensteine
es sind, nicht abfinden. Diese Familie muß immer etwas Besonderes sein.« Sie
klopfte mit dem verkrümmten Zeigefinger auf die Zeitung. »Das mit der
Gehirnerweichung haben sie sich

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