Penelope Williamson
nächste
Frage zu verzichten.
»Aber du bist nicht verpflichtet,
einem Kind denselben Lohn zu zahlen wie einem Erwachsenen. Das stimmt doch,
Geoffrey?«
Sein Lächeln, von dem sie immer glaubte, es gefalle ihr,
wurde etwas frostig. »Es gibt so etwas wie Gewinn und Verlust, und ich muß auch
die unteren Verdienstgrenzen beachten, liebste Emma. Ich muß meinen
Lebensunterhalt verdienen ... unseren Lebensunterhalt.«
»Aber das müssen die Arbeiter auch. Und ...«
»Emma!«
Ihre Mutter rief vom anderen Ende des Salons: »Mrs. Patterson möchte wissen, ob
du und Mr. Alcott auf eurer Hochzeitsreise nach Wien oder nach Paris fahren
wollt.«
Als sie
später wieder zu Hause waren, sagte ihre Mutter: »Du wirst mit deinen Fragen zu
kühn, Emma. Wie oft muß ich dich noch ermahnen, nicht zu vergessen, daß es
besser ist zu schweigen, als etwas Falsches zu sagen?«
Der
angstvolle und gequälte Blick in den Augen ihrer Mutter erinnerte Emma in
aller Deutlichkeit daran, daß sie in einer Welt lebten, in der man keine Fragen
stellte und in der man keine Wahl hatte, in der man keine Entscheidungen
treffen konnte.
Beim
Kartenspielen am nächsten Tag bei den Carter-Schwestern sagte Miss Carter: »Wir
werden die liebe Mrs. Oliver ein ganze Weile nicht mehr in Gesellschaft sehen.«
»Warum nicht?« fragte Emma, die schon wieder vergessen
hatte, daß sie keine unbedachten Fragen stellte sollte. Mrs. Oliver war jung
verheiratet, und Emma interessierte sich in letzter Zeit für Bräute. »Weil sie
unpäßlich sein wird«, erwiderte Miss Liluth und kicherte leise.
»Liluth!«
Miss Carter sah ihre Schwester vorwurfsvoll an. »Schäme dich!«
»Emma«, mischte sich Bethel
schnell ein, »hast du vergessen, daß beim Whist Herz Trumpf ist?«
Als das Spiel zu Ende war,
sagte Emma zu ihrer Mutter, sie wolle mit dem Boot auf die Bucht hinaussegeln.
Aber sie fuhr in das Haus an der Thames Street.
Bria hatte
die Tür offenstehen, um die Maisonne in die Küche scheinen zu
lassen. Sie saß im Schaukelstuhl und stopfte einen der großen Socken ihres
Mannes. Ihre Hände lagen bei der Arbeit auf dem vorgewölbten, dicken Bauch.
Emma
dachte in Erinnerung an Mrs. Oliver, daß sich Bria trotz ihrer Schwangerschaft
überall zeigte, wenn auch nicht in der guten Gesellschaft. Das Kind in ihrem
Leib war für sie keine Last, die zu >Unpäßlichkeit< führte, sondern
Ausdruck ihres Mutterglücks.
Als Emmas Schatten auf Bria
fiel, hob sie den Kopf. Sie wollte lächeln, stieß statt dessen aber einen
kleinen Schrei aus und deutete auf ihren Bauch. Noch in der Tür konnte Emma
erkennen, mit welcher Kraft das Baby im Leib strampelte.
»O000h! Er wird bald zur Welt
kommen. Es kann jeden Tag soweit sein. Er ist so lebendig«, stieß Bria leicht
keuchend hervor. »Und er ist ganz der Sohn seines Vaters, da gehe ich jede
Wette ein.«
Emma kniete neben dem
Schaukelstuhl nieder. Sie hob die Hand und sah Bria fragend an. »Darf ich?«
Lächelnd
und schnaufend nahm Bria Emmas Hand und legte sie dorthin, wo sich das neue
Leben in ihr regte. »Du meine Güte!« rief Emma. »Der Kleine ist aber stark!«
»Ja, er
wird ein mutiger stämmiger Ire sein.« Aber plötzlich versagte ihr die Stimme,
und sie fing an, so heftig an zu weinen, daß Emma kaum verstand, was sie sagte.
Es ging jedoch darum, daß ihr mutiger, stämmiger irischer Junge seine
kleeblattgrünen Augen vermutlich nie auf die vom Regen gepeitschten grünen
Hügel von Irland richten würde.
»Nehmen Sie es mir nicht übel«,
schluchzte Bria schließlich und wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ihrer
Bluse ab. »Wenn mich die Angst überkommt, muß ich weinen.«
»Sie müssen
keine Angst haben«, sagte Emma. »Das Baby wird gesund sein.« Sie sagte allerdings
nicht: Auch Sie werden wieder gesund werden, denn das wäre eine zu
offensichtliche Lüge gewesen. Vielleicht entsprach ihre Äußerung über das
Ungeborene auch nicht der Wahrheit. Konnte sich im Mutterleib die tödliche
Krankheit auf das Kind übertragen?
Am Anfang
hatte sich auch Emma gefragt, ob sie sich bei Bria anstekken könnte, wenn sie in diesem Haus zu Besuch war. Sie
hatte so lange darüber nachgedacht, daß sie schließlich richtig Angst bekam,
aber nicht genug, um Bria nicht mehr aufzusuchen. Jetzt dachte sie nicht an die
Ansteckungsgefahr, sondern schlang Bria die Arme um die Hüfte. Bria beugte sich
vor und legte ihr das Kinn auf den Kopf. Es war eine unbequeme Stellung, aber
beide fanden in der Nähe Trost. »Warum haben
Weitere Kostenlose Bücher