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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wagnis des Herzens
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eine andere Welt, wo ihn niemand erreichen konnte.
    Sie mußte ihn zweimal laut beim
Namen rufen, erst dann blinzelte er und sah zu ihr hinunter.
    »Was ist
los?« fragte er ungeduldig und etwas gereizt.
    Sie klapperte mit den Zähnen,
die Lippen waren so blau und kalt, daß sie kaum ein Wort hervorbrachte. »I ...
ich möchte lieber doch nicht rodeln. Der Schnee ist z... zu vereist und zu
glatt.«
    »Ach, sei kein solches
Angsthäschen!« erwiderte er spöttisch und ein wenig gemein, so wie er manchmal
sein konnte. Er beugte sich vor und packte den Schlitten an den Seiten. »Paß
auf, ich gebe dir einen festen Stoß, und dann fliegst du den Hügel hinunter.«
    »Neeiiiin!«
schrie Maddie, aber er schob den Schlitten bereits an. Der Schlitten neigte
sich nach vorn, wurde immer schneller und sauste unaufhaltsam den glitzernden
Abhang hinunter. Maddie schrie und griff in Panik nach dem Steuerseil, aber sie
fand es nicht. Der Wind trieb ihr stechende Eisnadeln in Gesicht und Augen. Der
Schlitten hüpfte über die Eiskrusten und glitt krachend in gefrorene
Spurrillen. Er wurde immer schneller. Sie beugte sich vor und wollte nach dem
Lenker greifen. Aber das glatte Holz entglitt den Wollhandschuhen, und dann
schoß der Schlitten plötzlich aus der Bahn.
    Sie hob
erschrocken den Kopf und sah, wie ihr aus dem wirbelnden Weiß Bäume und Felsen
entgegenflogen. Den Stein, gegen den sie prallte, sah sie nicht. Einen
Augenblick lang flog sie scheinbar schwerelos auf dem Schlitten durch die
weiße Winterwelt, und im nächsten Augenblick prallte sie gegen etwas Hartes.
Der Schlitten schoß kerzengerade nach oben, und sie wurde wie ein lebloser
Sack abgeworfen. Sie drehte sich in der Luft mehrmals um sich selbst und
landete schließlich zwischen den Felsen auf dem Rücken. Sie lag auf dem
eiskalten Stein und blickte in den blauen Himmel.
    Sie fühlte
nichts mehr.
    Der Wind
fuhr durch die Bäume. Das glitzernde Eis klirrte. Sie sah einen Eiszapfen, der
in tausend Stücke zerbrach, die wie erstarrte Tränen in den Schnee sanken. Dann
verschwanden die Bäume im gespenstischen weißen Nebel eines Traums.
    Und in
ihren Träumen rannte Maddie immer.
    Maddie sah
zuerst seinen Schatten. Er fiel lang und schmal auf das glänzende Parkett.
    Sie saß in
der Bibliothek. Ihr Rollstuhl stand vor dem großen halbrunden Erkerfenster,
das auf den Garten ging. An den warmen Frühsommerabenden konnte sie sich
beinahe vorstellen, dort draußen auf dem großen Rasen zu sein und wie ein wildes
Reh zwischen den griechischen Statuen und den großen mit Geranien bepflanzten
Steingefäßen umherzuspringen. Die schweren Türflügel der Bibliohek hatten sich mit einem leisen Klicken geöffnet, und er
war da groß und schlank. Er trug einen eleganten schwarzen Schoßrock mit
Seidenrevers. Das Licht der Wandleuchter mit den gelben Seidenschirmen verlieh
seinen Haaren einen goldgelben Schein, und sein Schatten fiel überlang vor ihm
auf den Boden. Maddie duckte sich tief in ihren Stuhl. Sie hoffte, er würde sie
in ihrem Versteck zwischen den Büchern und schweren Samtvorhängen nicht sehen.
Wenn sie doch nur noch hätte laufen können.
    Aber er
hatte schon immer scharfe Augen gehabt. Seinen wassergrauen Augen entging
nichts. »Warum versteckst du dich hier?« fragte Stuart Alcott.
    Er kam mit der anmutigen,
lockeren Gespanntheit seines Körpers und in seiner selbstsicheren Art, die er
auch schon immer besessen hatte, geradewegs zu ihr. Seit der letzten Fuchsjagd
der Saison war er hin und wieder in Bristol gewesen, aber zum ersten Mal
besuchte er die Tremaynes.
    Maddie hatte sich sehr
gewünscht, er werde kommen, und es auch wieder nicht gewollt. Und nun war er
da.
    Sie wartete darauf, daß er eine
Bemerkung über den Rollstuhl machen werde, über ihren entstellten Körper und
ihr ruiniertes Leben. Aber er schwieg.
    Sie hatte
ihn zum letzten Mal auf einem Gartenfest in dem Haus der Alcotts in der Hope
Street gesehen. Damals war sie erst zwölf gewesen und konnte noch laufen.
Außerdem war sie Bethel Tremaynes Tochter und wußte genau, was Anstoß erregte,
wenn sie es mit eigenen Augen sah. Stuart hatte zu viele Cocktails mit Brandy
und Champagner getrunken. Er segelte mit der Eisplastik über den Rasen – es war
in jenem Sommer ein Schwanenboot. Er glitt damit über den Rasen und landete
zielsicher im Springbrunnen.
    Weder sein
Vater noch sein Bruder verloren ein Wort über diese Provokation. Sie taten so,
als bemerkten sie sein schlechtes Benehmen überhaupt

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