Pension der Sehnsucht
während sie gegrillte Hühnerschenkel auf Pappteller legte. »Und ich lasse mich nicht gern verwirren.«
»Nein?« Er lachte sie an. Mit einer raschen Bewegung zog er ihre Haarschleife auf. »Jetzt siehst du aus wie meine kleine Nichte.« Nelly griff nach der Schleife, doch er warf kurzerhand das Band fort.
»Du bist unverschämt.« Zornig funkelte sie ihn an.
»Das stimmt«, pflichtete er ihr lächelnd bei, zog eine Weinflasche aus dem Korb und entkorkte sie mit der Geschicklichkeit eines gelernten Kellners. »Sag mal, wie kamst du eigentlich dazu, Managerin des ›Lakeside‹ zu werden?«
Die Frage überraschte sie. Sie sah zu, wie er den besten Weißwein, den das Hotel zu bieten hatte, in Pappbecher goss. Dann antwortete sie: »Es hat sich so ergeben.« Sie nahm ihm den Becher aus der Hand, den er ihr entgegenhielt, und merkte ihm an, dass er sich mit dieser vagen Antwort nicht zufrieden gab. »Als ich noch zur Schule ging, half ich in den Sommermonaten im ›Lakeside‹ aus. Ich verrichtete alle möglichen Arbeiten, die in einem solchen Betrieb eben anfallen. Als ich vom College abging, war ich schon so etwas wie die Assistentin des damaligen Managers. Und als Mr. Blakely dann in den Ruhestand ging, empfahl er mich weiter, und ich übernahm seine Stelle.« Sie hob die Schultern und biss in eine Käsestange.
»Und wann hast du die Zeit gefunden, Schlagball spielen zu lernen wie ein Profi?«
»Meine sportliche Laufbahn begann, als ich vierzehn war«, erzählte sie, und während sie sich daran erinnerte, kicherte sie unwillkürlich. »Damals war ich bis über beide Ohren in einen älteren Mann verliebt. Er war schon siebzehn.« Sie setzte eine ernste Miene auf. »Er interessierte sich für sämtliche Sportarten, und ich eiferte ihm nach. Und wenn er mich dann seine Sportsfreundin nannte, kribbelte es mir bis in die Zehen.«
Percy lachte so laut auf, dass eine in der Nähe herumhüpfende Amsel erschrocken davonflog. »Nelly, du bist einmalig. Und was passierte mit deinem Sportplatz-Casanova?«
Sie lächelte. »Ach, jetzt ist er verheiratet, hat zwei Kinder und verkauft Gebrauchtwagen.«
»Sein Pech«, kommentierte Percy trocken und schnitt den Käse in Scheiben.
Nelly brach sich ein Stück von Elsies frisch gebackenem Brot ab und hielt es Percy hin, um eine Käsescheibe zu erwischen. »Verbringst du viel Zeit in deinen übrigen Hotels?« erkundigte sie sich. Sie wollte dem Gespräch eine andere Wendung geben, denn sein Ton war ihr zu persönlich.
»Das kommt ganz darauf an.«
»Worauf?« Sie bemühte sich, ihm fest in die Augen zu sehen und seinem nachdenklichen Blick nicht auszuweichen.
»Ich sorge dafür, dass meine Manager sehr fähige Leute sind, mit dem Erfolg, dass in den Hotels eigentlich immer alles reibungslos läuft.« Er lächelte. »Und sollte ein besonderes Problem auftauchen, dann kümmere ich mich selbst darum. Wenn ich ein Hotel neu dazugekauft habe, mache ich mir erst mal ein Bild von dem Betrieb und entscheide dann später, ob irgendein Wechsel oder eine Veränderung angebracht wäre.«
»Dann kommst du sicher viel herum.« Die neue Richtung des Gesprächs war Nelly bedeutend sympathischer. Sie entspannte sich.
»Und ob. Weißt du, dass dein Haar mich an Weizenfelder erinnert, die ich mal in Kansas gesehen habe?« Er hob die Hand und griff spielerisch nach einer Strähne. Nelly schluckte überrascht. »Und deine Augen sind grauer als der Londoner Nebel.«
Nelly befeuchtete ihre spröden Lippen. »Wenn du jetzt nicht isst, wird dein Hähnchen kalt.«
Er schmunzelte über ihren Versuch, ihn abzulenken, spielte jedoch immer noch mit ihrem Haar. »Hähnchen kann man auch kalt essen.« Mit der anderen Hand schenkte er sich Weißwein nach. »Ach übrigens, da war ein Anruf für dich.«
Nelly zwang sich, ruhig zu bleiben, und trank einen Schluck Wein. »War es etwas Wichtiges?«
»Mm.« Percy blickte sie durchdringend an. »Es war ein gewisser Howard Beall. Du sollst zurückrufen. Er sagte, du hättest seine Nummer.«
»Ach so.« Nelly kräuselte die Stirn und dachte daran, dass wieder einmal die Zeit für ihr Pflichtrendezvous mit Betty Jacksons Neffen gekommen war. Unbewusst seufzte sie auf.
»Du liebe Zeit. Du strömst ja vor Begeisterung über.«
Percys trockener Kommentar zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. »Ach, das ist nur ein Bekannter.«
Über Nelly und Percy spannte sich ein postkartenblauer Himmel. Nicht ein einziges Wölkchen war zu sehen. Nelly legte sich auf den
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