Pension der Sehnsucht
Aber zum Teufel, mich stören diese verschwommenen Andeutungen über irgendwelche Modernisierungen. Er soll bloß die Finger vom ›Lakeside‹ lassen und sich um seine anderen Hotels kümmern. Hier braucht nichts verändert zu werden. Wir haben alles, was wir benötigen.«
»Außer Brombeergelee«, wandte Elsie mürrisch ein.
Nelly holte tief Luft. »Na schön«, stöhnte sie und ging zur Tür. »Ich hole welches. Aber wenn Betty noch einmal anfängt, mir zu erzählen, Howard Beall wäre der ideale Ehemann für mich, dann fange ich an zu schreien.«
Nachdem Nelly diese Drohung ausgestoßen hatte, verließ sie das Hotel. Draußen in der milden Frühlingssonne besserte sich jedoch ihre Laune. Sie schwang sich auf ihr altes klappriges Fahrrad und radelte munter los.
Mit geröteten Wangen erreichte Nelly die Ortschaft Lakeside, eine kleine Stadt mit alten, aber gepflegten Häusern in liebevoll angelegten Gärten. Im Osten erhoben sich hohe bewaldete Berge, und im Westen schimmerte die ruhige Wasseroberfläche des Champlain-Sees.
Lakeside war von dem Trubel und der Hektik der modernen Zeit unberührt geblieben. Für Nelly, die hier aufgewachsen war, hatte dieses friedliche verschlafene Städtchen nie seinen Reiz verloren. Sie war froh, dass es hier noch ein einfaches Leben gab.
Vor einem kleinen Haus mit grün gestrichenen Fensterläden stellte Nelly das Rad ab, entschlossen, mit allen Mitteln der Überredungskunst um das Brombeergelee zu kämpfen.
»Na so etwas, Nelly, das ist aber eine Überraschung!« Betty öffnete die Haustür und strich sich vorsichtig über das graue Haar. »Ich dachte schon, du seist nach New York gezogen.«
»Im Hotel gab es ungewöhnlich viel zu tun«, antwortete Nelly demütig.
»Ach ja, der neue Besitzer kommt.« Betty nickte wissend und ließ Nelly eintreten. »Ich habe gehört, dass er viele Änderungen vornehmen will.«
In der Gewissheit, dass man vor Betty Jackson nichts geheim halten konnte, weil ihr Nachrichtensystem perfekt funktionierte, nahm Nelly in dem kleinen Wohnzimmer Platz.
»Weißt du schon, dass Tom Myers an sein Haus noch ein weiteres Zimmer anbaut?« Betty nahm eine gehäkelte Schondecke von einem Sessel, ehe sie sich ebenfalls setzte. »Leonie scheint wieder mal in anderen Umständen zu sein.« Sie schnalzte mit der Zunge, um ihren Unmut über den zügellosen Lebenswandel der Myers zu bekunden. »Drei Babys in vier Jahren. Aber du magst ja Kinder, nicht wahr, Nelly?«
»Ich war schon immer sehr kinderlieb, Miss Jackson«, antwortete Nelly und überlegte, wie sie das Gespräch auf das Brombeergelee bringen sollte.
»Mein Neffe Howard auch.«
Nelly unterdrückte den Wunsch, einen Schrei auszustoßen, und entgegnete ruhig: »Zurzeit haben wir bei uns im Hotel auch einige kleine Gäste.« Ihr kam eine Idee, und beherzt fuhr sie fort: »Kinder essen ja so gern Süßes. Unsere Marmeladen und Gelees haben sie buchstäblich verschlungen. Gestern mussten wir das letzte Glas anbrechen. Aber so gute Gelees können auch nur Sie kochen, Miss Jackson. Wenn Sie damit ein eigenes Geschäft eröffnen würden, hätten Sie in kürzester Zeit die großen Firmen vom Markt verdrängt.«
»Tja, das will gekonnt sein.« Betty sonnte sich sichtlich in dem Lob, und Nelly wähnte sich bereits als Siegerin.
»Ich müsste das Hotel wahrscheinlich schließen, wenn Sie mich nicht mit Gelee versorgten«, fuhr sie kühn fort. »Mr. Conners wäre tödlich beleidigt, wenn ich ihm irgendein im Laden gekauftes Zeug vorsetzte. Von Ihrem Brombeergelee schwärmt er geradezu. Es sei einfach göttlich, sagt er immer.«
»Einfach göttlich.« Betty nickte zufrieden.
Eine Viertelstunde später stellte Nelly einen Karton mit zwölf Gläsern Gelee in den Gepäckkorb ihres Fahrrads, winkte Betty zum Abschied zu und radelte davon.
»Ich kam, sah und siegte.« Stolz blickte sie zum Himmel hinauf. »Und ich brauchte nicht einmal zu schreien.«
»Hallo, Nelly!«
Nelly drehte sich um, als sie ihren Namen hörte, und fuhr an den Rand des Spielfelds, auf dem einige Jungen Schlagball spielten.
»Wie steht die Partie?« fragte sie einen kleinen Knirps, der herbeigelaufen kam.
»Fünf zu vier. Juniors Mannschaft gewinnt.«
Nelly beobachtete Junior, einen hoch aufgeschossenen, schlanken Burschen, der an der Abschlagstelle stand und breit grinste.
»Eingebildeter Bengel«, murmelte sie. »Dem werde ich zeigen, was Schlagball ist.« Sie nahm dem kleinen Jungen die Schirmmütze ab, zog sie sich über den
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