Pension der Sehnsucht
stehen.
Mitten auf dem handgeknüpften runden Teppich focht Eliza mit einem Zimmermädchen einen wilden Streit aus. Eddie tanzte aufgeregt um die beiden Frauen herum und versuchte vergeblich, den Kampf zu schlichten.
»Meine Damen, bitte.« Nelly stürzte sich mutig in das Handgemenge. Beschimpfungen und Anschuldigungen waren die Folge. Nelly breitete die Arme aus, um die beiden streitbaren Frauen voneinander zu trennen.
»Louise, Miss Trainor ist unser Gast. Was ist denn in dich gefahren?« Erfolglos versuchte sie das stämmige Zimmermädchen zur Seite zu ziehen, dann wandte sie sich Eliza zu. »Bitte, schreien Sie doch nicht so, ich kann ja kein Wort verstehen.«
Nelly merkte, dass sie selbst geschrien hatte, senkte bewusst die Stimme und drängte Eliza von Louise zurück. »Bitte, Miss Trainor, Louise ist halb so groß und doppelt so alt wie Sie. Nehmen Sie doch bitte Rücksicht. Sie tun ihr ja weh.«
»Fassen Sie mich nicht an!« Abwehrend hob Eliza den Arm, und ihre Faust traf scheinbar zufällig Nellys Kinn.
Nelly taumelte zurück und stürzte mit dem Kopf gegen einen Bettpfosten. Vor ihren Augen tanzten Sterne, die ganz plötzlich erloschen. Sie spürte nur noch, wie sie an der Bettstelle entlang langsam zu Boden sackte.
»Nelly!« Ihr schien, als riefe jemand durch einen langen Tunnel ihren Namen. Sie stöhnte und öffnete langsam die Augen. »Bleib ganz still liegen«, befahl Percy. Vorsichtig blickte sie in sein besorgtes Gesicht. Er beugte sich über sie und strich ihr sanft das Haar aus der Stirn.
»Was ist passiert?« Sie wollte sich aufrichten, Percy drückte sie jedoch zurück.
»Genau das möchte ich auch gerne wissen.« Er drehte den Kopf, und Nelly folgte seiner Bewegung. Auf dem kleinen zweisitzigen Sofa saß Eddie und hielt die schluchzende Louise im Arm. Eliza stand am Fenster und wandte ihnen das Profil zu. Ihr Mund war ein schmaler Strich.
»Ach du meine Güte.« Die Erinnerung kehrte zurück, und Nelly schloss wieder die Augen. Bewusstlosigkeit hatte auch ihre Vorteile. »Diese Leute veranstalteten mitten im Zimmer einen Ringkampf. Leider gab mir Miss Trainor dabei einen Kinnhaken.«
Percy hörte auf, Nellys Wange zu streicheln. »Sie hat dich geschlagen?«
»Das habe ich nicht absichtlich getan, Percy.« Eliza ließ Nelly nicht zu Wort kommen. Sie schien aufrichtig bekümmert zu sein. »Ich wollte nichts weiter als die vorsintflutlichen Gardinen abnehmen, als dieses Dienstmädchen hereinkam.« Hoheitsvoll deutete sie auf Louise. »Sie schrie und griff mich tätlich an. Dann kam der da.« Sie zeigte auf Eddie, ehe sie die Hand über ihre Augen legte. »Und plötzlich tauchte Miss Clark wie aus heiterem Himmel auf, brüllte mich auch noch an und stieß mich zurück. Es war schrecklich.« Eliza schüttelte sich und rang sichtlich nach Fassung. »Ich wollte mich doch nur wehren. Wie kommt sie eigentlich dazu, in mein Zimmer einzudringen? Keiner von diesen Leuten hier hat das Recht dazu.«
»Und sie hat kein Recht, die Gardinen abzunehmen«, mischte sich Louise ein und zerknüllte nervös Eddies Taschentuch. Mit dem feuchten Lappen deutete sie so lange auf das Fenster, bis alle Anwesenden ihrem Blick folgten. Der weiße Tüll hing schlaff und unordentlich an der Stange. »Sie bezeichnete die Vorhänge als unmodern und unpraktisch, wie alles andere in diesem Haus. Dabei habe ich sie erst vor zwei Tagen gewaschen.« Louise bedeckte ihren wogenden Busen mit der Hand. »Es kommt gar nicht infrage, dass sie wieder schmutzig werden. Ich habe Miss Trainor höflich gebeten, sie nicht anzufassen.«
»Höflich?« rief Eliza schrill. »Sie sind über mich hergefallen wie eine Wilde.«
»Ich wurde erst deutlicher«, entgegnete Louise würdevoll, »als sie nicht vom Stuhl steigen wollte. Stell dir vor, Nelly, sie stand auf dem guten Bentwood-Stuhl. Wie kann sich jemand nur auf so ein schönes Stück stellen!« Louise vergrub ihr Gesicht an Eddies Schulter, unfähig, weiterzusprechen.
»Percy.« Eliza strich sich eine Locke hinter ihr Ohr und trat auf ihn zu. In ihren Augen blitzten Tränen. »Erlaubst du, dass dieses Weibsbild so über mich spricht? Ich will, dass du sie sofort entlässt. Sie hätte mir wer weiß was antun können, als sie mich vom Stuhl zog. Die Frau ist ja nicht ganz richtig im Kopf.« Flehend legte Eliza Percy die Hand auf die Schulter, und die ersten Tränen tropften über ihre Wangen.
Entrüstet über diesen weiblich-hilflosen Auftritt richtete Nelly sich auf. Sie wehrte
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