People Always Leave
Nächstes?“
„Nun ja“, überlegte Dean. „Ich werde mir morgen früh den Schlüssel für das Labor holen und dann dein Blut auswerten.“
„Wo ist er?“
„Wo ist wer?“
„Der Schlüssel.“
„Oh“, seufzte Dean und räusperte sich kurz. „Bei unserem lieben Doktor Schlaus.“
„Klasse, Dean, echt klasse.“
„Ich schaffe das schon.“
„Ich dachte, dass jeder Arzt hier bei euch einen Schlüssel für jeden Raum besitzt?“
Unerwartet stand Dean auf und ging zu der kleinen Kommode. Er öffnete die Schublade und nahm einen überdimensionalen Bund mit etlichen Schlüsseln heraus.
Nathan staunte. „Wofür sind die alle?“
„Also, die meisten Zimmer haben den gleichen Schlüssel“, erklärte Dean gekonnt. „Dieser hier ist für den Gemeinschaftsraum, der für den Medizinschrank, der, um überhaupt in den Raum mit der Medizin zu gelangen. Der hier, der ist … ähm … für die Gemeinschaftsdusche. Dieser hier ist für den Musikraum und noch ein paar weitere eben.“
„Musikraum?“, wiederholte Nathan begeistert.
„Ja, wir haben einen Musikraum … mit Klavier und so´n Zeugs. Wieso fragst du?“
„Ach, nur so.“
„Okay.“
„Wie viele Leute habt ihr hier eigentlich?“
„Zu viele“, gestand Dean mit entsetzter Miene.
„Ach, komm schon“, scherzte Nathan. „Schlimmer als die, die ich bisher kennengelernt habe, geht es doch bestimmt nicht. Und dann bin ich ja auch noch da.“
„Glaub mir, Nathan. Du bist noch am normalsten hier.“
„Du findest es also normal, dass ich mir mein Leben nehmen wollte?“, hakte Nathan entgeistert nach.
„Nein, so meinte ich das nicht“, gab Dean zurück und sah ihn plötzlich verwirrt an.
„Was ist?“
„Du sagtest gerade wolltest .“
Nathan schwieg.
„Bedeutet das, dass du nicht mehr vorhast, es erneut zu tun?“
„Bringt doch eh nichts.“
Froh über diese Einsicht griff Dean nach Nathans Händen. „Du weißt gar nicht, was für ein Stein mir gerade vom Herzen fällt.“
Er war sichtlich erleichtert, rechnete aber nicht mit Nathans nächsten Worten. „Ich habe versucht, mir das Leben zu nehmen und scheiterte. Nun werde ich in den nächsten Monaten, Wochen oder Tagen an meinem Versagen sterben. So oder so, ich werde mein Ziel erreichen.“
„Du weißt schon, dass ich dich dafür jetzt ohrfeigen könnte, ja?“, wetterte Dean und ließ ihn wieder los.
„Machen wir uns nichts vor. Ich meine, nur wegen meiner eigenen Dummheit werde ich von ganz allein sterben. Hilfe brauche ich eigentlich nicht mehr. Die paar Tage, die kann ich auch noch abwarten.“
Innerlich war Dean am Brodeln. „Erwartest du denn überhaupt nichts mehr vom Leben?“
„Welches Leben?“
„Stell mir bitte auf meine Frage keine Gegenfrage! Ernsthaft! Das kann ich überhaupt nicht ab.“
Schweigend sah Nathan ihn an.
„Dein Leben, Nathan, welches sonst?“
„Genau, mein Leben. Es ist mein Leben, und ich entscheide, was ich damit mache und was nicht. Und wenn ich keine Lust mehr habe, dann habe ich eben keine Lust mehr. Ganz einfach.“
„Dein Leben verlief wirklich nie nach Wunsch, oder?“
„Ich möchte mich nicht beklagen. Jeder hat doch so seine eigenen Probleme.“
„Ich bitte dich.“
„Von Mitleid werde ich auch nicht wieder gesund.“
„Nicht Mitleid.“
Fragend sah Nathan in die grünen Augen.
„Zuneigung. Es tut mir wirklich wahnsinnig leid, dass dein Leben so verlaufen ist, aber es ist kein Mitleid, das ich dir versuche zu geben, sondern meine Zuneigung. Natürlich empfinde ich Mitleid für dich, weil ich dich wirklich mag, aber ich möchte dir nicht das Gefühl vermitteln, dass ich dir nur helfe, weil ich dich bedaure oder dein Arzt bin, was ich ja eigentlich gar nicht mehr bin.“
„Was bist du dann?“
„Ein Freund, Nathan. Ein Freund.“
„Und“, sagte Nathan mit zittriger Stimme, „kann mich dieser Freund jetzt vielleicht in den Arm nehmen?“
„Natürlich“, flüsterte Dean. Mit Tränen in den Augen ließ sich Nathan von ihm eine sehr lange Zeit herzen. Eine mehr als nur wohltuende Geste für seine zerbrochene Seele, die seit Jahren von Hass, Kummer und Ängsten belagert wurde und sich eigentlich nur nach einem sehnte: nach Liebe.
***
Das Licht war schon lang erloschen, als Nathan in Gedanken vertieft unter der Bettdecke an Deans Oberkörper lehnte und dessen Unterarme umklammerte. Schon eine Weile saßen sie dort, und auch der sonst so toughe Dean war alles andere als
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