Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)
auch nur eine einzige Minute. Wenn man ihm das Fußballspielen verwehrt, nimmt man ihm den Lebensinhalt. Ihm bleibt dann nur noch essen und schlafen.
Hatte Guardiola in Messi ein Monster gezüchtet? Der Argentinier verfügte in der letzten Saison des Trainers über absolute Macht und benahm sich mitunter daneben. Er regte sich regelmäßig auf, wenn junge Spieler wie Cuenca (»Nimm den Kopf hoch!«, herrschte ihn Messi bei einem Spiel gegen Granada einmal an) oder Tello (»Flanke!«, brüllte Messi ihm gegen den AC Mailand zu, als er den Torabschluss suchte und gegen Abbiati die kurze Ecke anpeilte) ihm den Ball nicht abgaben. Selbst David Villa wurde es nicht verziehen, wenn er aufs Tor schoss, obwohl er die Möglichkeit hatte, Messi anzuspielen.
Dieser kluge und entschlossene Einzelspieler wollte, wie alle Stürmer, seine Position behaupten, und er kämpfte darum.
»Messi lernte, Entscheidungen nach den besonderen Anforderungen jedes einzelnen Spiels zu treffen«, betont der argentinische Trainer César Luis Menotti, und er hat recht. Aber Messis Einfluss reichte weit über das Spielfeld hinaus: Der Klub fragte in Messis Umfeld nach, was man denn von einer Verpflichtung des Brasilianers Neymar halten würde. Messi kennt den Jungstar über Dani Alves, die drei spielten mit der PlayStation Online-Fußball. Der Klub erhielt die gewünschte Antwort: »Nehmt ihn unter Vertrag.«
Hatte Pep das Gefühl, dass er Messi mit zu viel Macht ausgestattet hatte? Wenn er davon sprach, er verlasse der Klub, bevor man sich »gegenseitig verletze«, deuteten das viele Beobachter unter anderem auch als Anspielung auf Messi. Müsste Pep, wenn er weitermachen würde, das Machtgleichgewicht neu austarieren, um zu vermeiden, dass ein einziger Spieler 73 Tore schoss und niemand sonst mehr Verantwortung trug?
Pep Guardiola begann seine Trainerlaufbahn in Barcelona – dieses Argument muss hier vorgebracht werden – mit der Entwicklung des mannschaftlichen Zusammenspiels, aber in seiner letzten Saison lenkte er zugunsten der individuellen Qualität ein. Das tun alle Trainer, denn letztlich sind es die Fußballer, die Spiele entscheiden, und das gilt ganz besonders, wenn die Person, um die es dabei geht, Lionel Messi ist.
Das richtige Gleichgewicht zwischen einem außergewöhnlichen Spieler und dem Mannschaftsgeist zu halten ist eine sehr schwierige Aufgabe, doch Pep schaffte das irgendwie während des größten Teils seiner Amtszeit. Aber war es nötig, dass er so deutlich und so oft betonte, Messi sei ein ganz besonderer Spieler? War das der Anfang einer Entwicklung, die letztlich in Guardiolas Weggang gipfeln würde, weil er sich des von ihm herbeigeführten Ungleichgewichts bewusst war? Der Trainer sorgt für das Gleichgewicht im Team. Und wenn er sich dabei einem Spieler ausliefert, muss die Waage nach den ungeschriebenen Gesetzen des Fußballs neu justiert werden.
Weitere Messi-Opfer
Fernando Parrado war einer von sechzehn Überlebenden eines Flugzeugunglücks, das als »Tragödie in den Anden« weltbekannt wurde. Eine uruguayische Rugbymannschaft war im Oktober 1972 auf dem Flug von Montevideo nach Santiago de Chile in den tief verschneiten Anden abgestürzt. Die Überlebenden warteten in dem Wrack 72 Tage lang auf ihre Rettung (ihre Geschichte wurde später unter anderem in dem Hollywoodfilm Überleben! [ Alive, 1993] verarbeitet). Es gab nur wenig zu essen, die beim Absturz schwer verletzten Passagiere starben. In dieser hoffnungslosen Lage beschlossen die Überlebenden, das Fleisch der Toten zu essen, um am Leben zu bleiben. Parrado überquerte mit seinem Freund Roberto Canessa auf der Suche nach Hilfe in einer zehn Tage dauernden Tour durch den Tiefschnee, bei der sie zerrissene Rugbystiefel trugen, die Anden. Im letzten Jahr von Guardiolas Amtszeit hielt Parrado vor dem gesamten Kader des FC Barcelona einen Motivationsvortrag ( Pep talk ). »Das verhalf uns zu der Erkenntnis, dass schreckliche Dinge geschehen, die jeden Menschen zerstören können, aber es gibt auch Menschen, die dagegen aufbegehren und um ihr Leben kämpfen«, sagte Gerard Piqué über diesen Vortrag. Parrado beschrieb seine Eindrücke von den Bar Ç a-Spielern im uruguayischen Fernsehen später so: »Das sind sensible junge Männer, sie waren wie eine Amateurmannschaft. Und Guardiola sagte mir, dass er für Abhilfe sorgt, sobald es in der Gruppe auch nur die leisesten Anzeichen für Disharmonie gibt. So hat er das bei Eto’o und Ibrahimović gemacht,
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