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Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche

Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche

Titel: Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Vazquez Montalban
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gedämpftes Nein mit dem Unterton des Begehrens.
    »Nein«, wiederholte sie. »Ich liebte ihn nach wie vor. Sehr sogar. Aber er war kein ›Mann fürs Leben‹.«
    »Haben Sie Kinder?«
    »Einen Sohn.«
    »Im Internat?«
    »Hat Ihnen Singel das erzählt?«
    »Nein. Aber es ist logisch.«
    »Der Junge hätte das mit Julio nicht verstanden. Julio selbst war am meisten dagegen, ihn ins Internat zu schicken, aber es gab keine andere Lösung. Das Haus ist zu klein.«
    »Holen Sie ihn wieder zu sich?«
    »Ich habe mich inzwischen an diesen Lebensstil gewöhnt. Und der Junge auch. Er ist sehr glücklich, glauben Sie mir! Außerdem bin ich noch jung.«
    »Hat Julio Ihnen einmal etwas Konkretes aus Spanien erzählt? Oder von konkreten Personen?«
    »Nein, er vermied es. Es waren ehrliche Briefe, die er mir schrieb, wenn er andere Frauen kennengelernt hatte, aber er hat sie nie namentlich erwähnt.«
    »Schrieb er Ihnen auch in der letzten Zeit?«
    »Kaum.«
    »Haben Sie die Briefe aufbewahrt?«
    »Den einen oder anderen wohl. Anfangs bewahrte ich sie alle auf, aber dann befürchtete ich, mein Sohn würde sie finden. Er verbringt seine Wochenenden bei mir. Es sind sehr intime Briefe.«
    »Darf ich einen davon lesen?«
    »Tut mir leid, die Briefe sind sehr persönlich.«
    »Einen, in dem er erwähnt, was er machte, wo er sich aufhielt, was für Leute er kennenlernte.«
    »Er erwähnte niemals Namen.«
    »Aber wenn er Ihnen von Beziehungen zu Frauen schrieb, mußte er zwangsläufig konkrete Angaben machen …«
    »Nein, niemals. Diese Sicherheitsmaßnahmen waren ihm schon zur Gewohnheit geworden.«
    »Irgendeine Adresse?«
    »Ja. Das schon.«
    Sie erhob sich und wühlte in den Schubladen des Tisches. Dann nahm sie einen Umschlag heraus und reichte ihn Carvalho. Eine gut ausgeschriebene Handschrift, jedoch allzusehr dem Gesetz der dünnen Auf- und dicken Abstriche der schulmäßigen Kalligraphie verpflichtet. Allerdings waren die Auf- und Abstriche synthetisch, verdorben durch den Kugelschreiber. Carvalho sah sich den Absender an und notierte die Adresse: Teresa Marsé, Avenida General Mitre, 46. Barcelona.
    »Welche Aufgabe hatte er in der Organisation, als er wieder in Spanien war?«
    »Das darf ich Ihnen nicht beantworten.«
    »Es geht mir nur um persönliche Beziehungen, nicht um geschäftliche. Genoß er weiterhin das Vertrauen Singels und der anderen?«
    »Voll und ganz. Singel tat es aufrichtig leid, als er von seinem Tod erfuhr. So ein schrecklicher Tod!«
    Sie begann wieder zu weinen. Dann sah sie Carvalho unter Tränen an.
    »Haben Sie seine Leiche gesehen?« fragte sie ihn.
    »Nein.«
    »Stimmt es, daß er kein Gesicht mehr hatte?«
    »Es sieht so aus.«
    »Dann ist es sehr gut möglich, daß es nicht er war. Wurde die Identität bestätigt?«
    Eine Tätowierung ist schnell gemacht. Ein Körper kann durch einen anderen ersetzt werden. Es war gut möglich, daß der Tote nicht Julio Chesma war. Carvalho sah nicht mehr die aufgelöste Witwe Salomons vor sich, sondern Señor Ramón. Was wollte er wissen? Die Identität eines Toten oder die Bestätigung einer Identität?
    »Hat Ihnen Julio niemals einen Hinweis auf seine aktuellen Verbindungen in Barcelona gegeben?«
    »Fangen Sie nicht wieder damit an. Ich darf Ihnen darüber keine Auskunft geben. Außerdem weiß ich es nicht. Ich weiß überhaupt nichts.«
    »Es könnte eine Abrechnung unter Kollegen gewesen sein.«
    »Daran hat Singel auch schon gedacht. Er ist sehr besorgt.«
    Die Witwe hatte sich erhoben. Sie hatte ihre Aufgelöstheit verloren und sah auf die Uhr. Bei vielen Anlässen hatte man Carvalho schon weniger rücksichtsvoll zum Gehen aufgefordert.
    »Ich muß gehen«, sagte Carvalho und machte Anstalten, sich zu verabschieden.
    »Wissen Sie nun alles, was Sie wissen wollten?«
    »Nicht alles. Aber der Kreis schließt sich.«
    »Wohin führt er Sie?«
    »Genau zum Ausgangspunkt zurück. Das ist immer das Überraschende an Kreisen.«
    Er ging vor der Witwe her die Treppe hinab, denn er hatte gelernt, daß es zum guten Ton gehört, beim Hinaufgehen der Dame den Vortritt zu lassen, während man selbst beim Hinuntergehen voranschreitet. Nicht alle Frauen kannten die Regel oder verstanden ihren Geist richtig, und in mehr als einem Falle war ihm das Gebot des Anstandes als das glatte Gegenteil ausgelegt worden. Aber die Witwe Salomons war gut erzogen und begrüßte Carvalhos Vorangehen sogar mit einem Lächeln. Pepe überlegte, ob er einen Angelhaken auswerfen,

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