Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
beliebigen Ort zu sehen gab.
»Das bei Philips konnte nicht lange gutgehen. Julio war unfähig, sich damit zu arrangieren.«
Die Witwe Salomons ahmte mit den Händen das Einführen der Karte in die Stechuhr nach.
»Waren Sie die erste Frau, mit der er in Holland intim wurde?«
»Nein, das glaube ich nicht. Von Philips ging er nach Amsterdam und arbeitete als Türsteher in einem Club mit Live-Show – im
Red Light
.«
»Als Türsteher?«
»Na ja, manchmal wirkte er auch bei einer Nummer mit. Und in diesem Milieu, wissen Sie, ergeben sich viele Beziehungen, aber es sind keine legalen Beziehungen, mehr will ich dazu nicht sagen.«
»Das heißt also, er bekam Kontakt zur Unterwelt.«
»Nun, nicht direkt. Singel sagte mir, Sie seien unterrichtet. Ich bin nicht der Ansicht, daß ein Dealer zur Unterwelt gehört. Das hängt von der Droge ab. Sie verstehen schon, Heroin, Kokain, Opium, das ja, das ist kriminell.«
Die Witwe sprach, ohne ihn dabei anzusehen. Wie alle Welt vertrat sie die Ideologie, die sie benötigte, um ihr eigenes Leben zu rechtfertigen.
»Hat Chesma Sie über Singel kennengelernt?«
»Nein, umgekehrt. Ich lernte Singel und alles übrige durch Julio kennen. Es war vor zwei Jahren. Er kam ziemlich oft geschäftlich nach Rotterdam. Irgendwie hatte er sich einen Ausweis beschafft, der ihn berechtigte, in einem Künstlerclub zu essen. Es ist dort billiger, und das Essen ist gut. Ich esse immer dort. Ich arbeite bei der Organisation der Rotterdamer Kunstfestivals, auf dem Doolen, ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs. Wir lernten uns im Club-restaurant kennen. Später faszinierte mich die Diskrepanz zwischen dem, was dieser junge Mann war und was er hätte werden können.«
»Und Sie wurden Mitglied der Organisation?«
Sie ging in Verteidigungsstellung.
»Singel wies mich an, solche Fragen nicht zu beantworten.«
»Ich wollte auch nur wissen, ob Julio genügend Kraft besaß, Sie in eine illegale Sache hineinzuziehen.«
»Ich machte ein paar Sachen mit, aber sehr selten. Vor allem, damit er sie nicht machte. Wenn er erwischt worden wäre, hätte man ihn ausgewiesen oder eingesperrt. Können Sie sich Julio in einem Gefängnis vorstellen?«
»Ich kann mir jeden in einem Gefängnis vorstellen.«
»Es gibt Leute, die das nicht aushalten.«
»Die könnten Sie an den Fingern einer Hand abzählen, und auf dieser Welt leben etwa dreitausend Millionen Menschen. In Wirklichkeit gibt es nur zwei Arten von Menschen: solche, die ins Gefängnis kommen, und solche, die ins Gefängnis kommen können. Das ist der Schlüssel zum Erfolg der Politiker, hier und überall.«
»Es gibt Leute von außergewöhnlicher Sensibilität, und Julio war so ein Mensch.«
»Seien Sie vorsichtig mit außergewöhnlicher Sensibilität! Solche Leute können im dreckigsten Gefängnis der Welt die Latrinen säubern.«
»Nun, Sie haben ihn eben nicht gut genug gekannt.«
»Erzählen Sie weiter. Julio kommt, Sie verlieben sich, er besucht Sie in unregelmäßigen Abständen. Er zieht Sie in die Drogensache, Sie ziehen ihn in die Sache mit der Literatur. Ein produktiver Austausch! Sie verdienen Geld, und er bildet sich.«
»Ich habe nie einen einzigen Gulden daran verdient! Ich tat das alles nur, um ihm Sorgen abzunehmen.«
Carvalho legte es darauf an, die echte Wut dieser Frau herauszufordern, die es fertigbrachte, ihm eine Rolle vorzuspielen, ohne sich der Täuschung bewußt zu sein. In diesem breiten, weichen rotweißen Bett lag das Geheimnis der Verführung. Alles übrige war Literatur oder ideologische Maske, um dem Skelett des allerursprünglichsten Interesses ein Gesicht zu geben.
Die Witwe hatte sich aufs Bett gesetzt. Die Beine, einer gewissen Entspannung hingegeben, kamen zum Vorschein wie hingegossen, der Rock war fast bis zu den Hüften hochgerutscht. Carvalho würdigte die optische Festigkeit ihres Fleisches.
»Mit der Zeit blieb er immer kürzer in Rotterdam. Er machte zwei oder drei Reisen nach Spanien, bevor er endgültig dorthin zurückkehrte.«
»Wissen Sie, woher er die Idee zu der Tätowierung hatte?«
»Nein. Aber es war wohl sein Grundgedanke, seine Devise. Die Dinge, auf die er sich einließ, nahmen nie ein gutes Ende, er war schon immer und überall ein Ausgestoßener. Aber ein Anführer. Eine echte Führernatur.«
»Warum kehrte er endgültig nach Spanien zurück?«
»Er wußte nicht, ob es für immer war. Nach und nach war unsere Liebe abgekühlt.«
»Auch von Ihrer Seite?«
»Nein.«
Es war ein
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