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Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche

Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche

Titel: Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Vazquez Montalban
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Schritte des Mannes näherten sich. Jetzt hatte er den Bug des Bootes erreicht. Wieder ging er zwischen den beiden Schiffen hindurch. Carvalho lag auf dem Rücken, um sofort zu sehen, wenn der Mann einen Blick ins Bootsinnere warf.
    Aber die Schritte entfernten sich. Langsam lösten sich Carvalhos Finger vom Revolverschaft. Der Druck auf seiner Brust verschwand, und entspannt sank er in die weiche Talsohle des Bootes. Als er hörte, wie die Tür ins Schloß fiel, spürte er die Kühle der Nacht auf der Stirn, die plötzlich schweißbedeckt war. Voller Ergebenheit stellte sich Carvalho darauf ein, so lange hier zu warten, wie es die Vorsicht verlangte.
    Um vier Uhr früh erreichte er sein Haus in Vallvidrera. Er war so erschöpft, wie man nach doppelt erlebten Stunden nur sein kann. Er machte sich ein belegtes Brot mit kaltem Braten, Salat und Mayonnaise, öffnete eine Dose holländisches Bier und legte sich hin; er war nicht in Stimmung, das Kaminfeuer anzufachen. Mit dem Essen kehrte seine Lust zum Nachdenken zurück. Es gab eine Verbindung zwischen Señor Ramón und Chesma und eine zwischen Señor Ramón und dem Vater von La Gorda. Das Dreieck schloß sich mit der Linie, die Chesma zum Meer geführt hatte, aus dem er ohne Gesicht und mit der geheimnisvollen Tätowierung als einzigem Erkennungsmerkmal aufgetaucht war.
    Aber damit war die Frage noch nicht beantwortet, warum Señor Ramón Carvalho überhaupt auf den Fall angesetzt hatte. Warum er von ihm verlangt hatte, sein eigenes Opfer zu identifizieren. Entweder kannte er sein Opfer nicht, oder er war aus irgendeinem Grunde daran interessiert, daß Carvalho eingriff, der Sache nachging und zu einem unbekannten Abschluß brachte. Falls es eine Abrechnung unter Rauschgifthändlern war, dann war es völlig unverständlich, daß Señor Ramón einen Privatdetektiv eingeschaltet hatte.
    Und wenn es keine Abrechnung unter Rauschgifthändlern war, welche Verbindung gab es dann zwischen dem Besitzer eines nichtssagenden Friseurgeschäfts und dem Mann, der geboren war, das Inferno aus den Angeln zu heben?
    Das war Carvalhos letzter Gedanke, bevor er einschlief. Um elf Uhr erwachte er und hatte Lust auf eine gut gekühlte Orangenlimonade. Wenn Carvalho seinem Körper für etwas dankbar war, dann für die Weisheit, mit der er seine eigenen Bedürfnisse kannte. Er hatte die Theorien seines Vaters übernommen, der dem Körper eine absolute, immanente Kenntnis seiner Bedürfnisse und Abneigungen zuschrieb. Wenn ihn ein plötzlicher Heißhunger auf Süßigkeiten überfiel, dachte er: ›Mein Körper braucht Glucose.‹ Wenn er wiederholt Appetit auf Muscheln bekam, dachte er: ›Mein Körper braucht Phosphor.‹ Und wenn es ihn nach Linsen gelüstete, schloß er daraus auf einen niedrigen Eisenspiegel. Er würde sich nie als großer Experte in Physiologie aufspielen, aber es hatte ihm immerhin geholfen, siebenunddreißig Jahre zu überstehen, ohne krank zu werden, abgesehen davon, daß seine Nase ab und zu troff, was stets mit unmäßigem Appetit auf Orangen und Zitronen einherging.
    Es war höchst seltsam, daß er mit Lust auf Orangenlimonade erwachte zu einer Jahreszeit, in der Orangen die Verachtung jedes vernünftigen Menschen verdienten. Deshalb trank er brav einen Zitronensaft mit Eiswürfeln und ein wenig Wasser. Er mußte unbedingt mit Teresa Marsé reden und schwimmen gehen. Er fuhr den Abhang des Tibidabo hinab mit dem Vorsatz, beides zu tun. Er drang in die Boutique der Marsé ein mit seinem Vorschlag auf der Zunge. Teresa war gerade im Hinterzimmer, wo sie an einer Schneiderpuppe ein Kleid probierte, und hatte den Mund voller Nadeln. Sie zeigte keine Regung, als Carvalho vor ihr auftauchte und mit seinem Vorschlag herausplatzte, alles liegen- und stehenzulassen und mit ihm schwimmen zu gehen. Sie zögerte mit der Antwort, so lange, daß Carvalho schon um ihr Einverständnis fürchtete und mißtrauisch wurde. Als seine Stimmung bereits die Tiefe der Socken erreicht hatte, bewegte Teresa endlich die Lippen, mit der widerwilligen Erlaubnis der sadistischen Nadeln, und sagte: »Warte, ich bin gleich soweit. Dann können wir gehen.«
    Carvalho war dankbar für die Präzision, mit der sie das Versprechen einhielt. Charo wären noch zwanzig verschiedene Dinge eingefallen, die sie unbedingt erledigen mußte, bevor sie dem
gleich
nachgekommen wäre. Aber Teresa war tatsächlich gleich da, und die einzige Überraschung, die sie für Carvalho bereithielt, war, daß sie die

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