Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
Teresas Thermostat unterschied sich in nichts von dem der übrigen Frauen. Sie sind wie Tiere mit kaltem Blut – sie brauchen die Sonne und sind imstande, sich ihren Strahlen mit dem beseligten Ausdruck eines Menschen hinzugeben, der gerade die heilige Kommunion empfängt, oder sogar mit der Ekstase eines Mystikers, der bereit ist für die göttliche Hingabe. Teresas Gesichtsausdruck erreichte die Grenze zur Ekstase. Das war mehr, als Carvalho ertragen konnte, und er zog es vor, ins Wasser zu gehen, obwohl er überhaupt kein Verlangen danach hatte. Er hatte festgestellt, daß seine Nase verschleimt war, und dies sofort in Verbindung gebracht mit der Feuchtigkeit der letzten Nacht und dem morgendlichen Durst auf Orangensaft. Also sprang er ins Wasser und schwamm ein paar Minuten, um etwas mit Teresa gemeinsam zu haben und an ihre Seite zurückzukehren mit einem – wenn auch minimalen – Beweis von Solidarität.
»Ich bin hungrig«, sagte sie, ohne das gefürchtete ›Laß uns irgendwas essen gehen‹ hinzuzufügen. »Wir könnten in ein Restaurant gehen. Es muß hier gute Lokale geben. Wenn wir mit meinen Eltern im Sommer hier waren, gingen wir manchmal in ein Lokal an der Strandpromenade. Ich weiß nicht, ob es heute noch existiert. Wir können aber auch am Strand eine Wurst im Baguette essen und ein Bier dazu trinken. Es gibt eine Bude gleich am Anfang der Promenade. Dann hätten wir mehr Zeit, und ich könnte dir das Haus zeigen.«
In Carvalhos Brust krampfte sich etwas zusammen. Er antwortete nicht, damit sie nicht hörte, wie seine Stimme zitterte. Sie trockneten sich ab und gingen zum Wagen. Carvalho blieb draußen und wartete, bis sie sich umgezogen hatte. Sie zog ihre Tunika an und holte dann den feuchten Bikini darunter hervor. Dann nahm sie das Handtuch und trocknete sich unter der Tunika sorgfältig die Geschlechtsteile ab. Carvalho schlang sich das Handtuch um die Hüften, ließ die Badehose zu Boden gleiten und stieg ins Auto. Dann zog er sich an, wobei er genau darauf achtete, daß niemand vorbeiging, während er gerade entblößt war.
»Wir könnten zu Fuß gehen, es ist gleich hier um die Ecke. Danach nehmen wir das Auto und fahren zum Haus!«
Hand in Hand gingen sie zur Promenade hinauf. Die Bude kam in Sicht, umringt von Badegästen und Leuten, die in die bekleidete Zivilisation zurückgekehrt waren, alle angelockt vom Duft der gebratenen Würste. Carvalho stellte befriedigt fest, daß sich die Auswahl nicht auf die Diktatur der Frankfurter beschränkte, sondern daß auch
grovers
gebraten wurden. Er befürchtete, daß Teresa das Schicksal ihres Magens an eine Anhäufung von Frankfurter Würstchen knüpfen würde, und beeilte sich, ihr etwas anderes vorzuschlagen.
»Wollen wir
grovers
nehmen?«
»Die habe ich noch nie probiert. Welche sind das? Die Weißen da?«
»Nein, aber die weißen sind auch gut. Wir könnten einen
grover
nehmen und eine von den Weißen, wie du sie nennst.«
»Und keine Frankfurter?«
Ohne das Frankfurter Würstchen schien Teresa verloren in der Kaverne ihres Magens.
»Gut, nimm eine Frankfurter, aber ich rate dir, auch einen
grover
zu probieren.«
Carvalho nahm Ketchup dazu, Teresa blieb lieber beim altbekannten Senf. Das frischgezapfte Bier schmeckte hinreichend gut, und Pepe stellte nicht ohne Überraschung fest, daß er nach dem
grover
und der Frankfurter noch in der Lage war, zum Abschluß ein Stück Baguette mit Frankfurter und Senf zu verzehren.
»Das war ausgezeichnet. Es gibt nur eine einzige Schweinemetzgerei in ganz Barcelona, die deutsche Schweinefleischprodukte so gut imitiert.«
»Welche?«
Er gab ihr die Adresse und erklärte, wie man dort hinkam. Teresa wirkte aufmerksam und amüsiert. Sie kehrten zum Auto zurück, und Teresa zeigte ihm den Weg zu einem eisernen Gitter, das den Eingang zu der Villa ihrer Familie verschloß. Sie stieg aus und öffnete das Sicherheitsschloß an der Kette, die die beiden Flügel des Gitters miteinander verband. Sie stieß die Flügel weit auf, und Carvalho stand vor der Wahl zwischen zwei Kieswegen, die durch eine keilförmige, dicht bewachsene Grünfläche mit einer Reihe von Zwergpalmen getrennt wurden. Er nahm den rechten Weg zwischen vernachlässigten Hekken und übergroßen Oleanderbüschen, deren Zweige die Fahrt etwas behinderten. Betonmauern mit Fliesenmosaiken und großen gefliesten Vasen, in denen wahre Geranienurwälder prangten, begrenzten den Weg, der zur zentralen Front des Hauses führte. Das ungeheure
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