Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
Wappenschilder über den Haustoren, die Stille, die nur unterbrochen wurde von der Arbeit der Ladenburschen und dem fernen Klirren von Werkzeug, entflohen durch halbgeöffnete Türflügel aus der Tiefe der Werkstätten, in denen nur Fünfundzwanzig-Watt-Birnen brannten, blind von Fliegendreck und dem Staub des Vorjahres. Die Autos waren in den weniger engen Straßen geparkt, aber kaum unterwegs. Er trank aus dem Brunnen vor der Kirche Santa Maria del Mar, kaufte in einem Stockfischgeschäft verschiedene Sorten Oliven und verzehrte sie im Gehen, begleitet von einem zarten Brötchen, das er einsam, wie verlassen im leergekauften Wandschrank der ersten offenen Bäckerei des Nachmittags gefunden hatte. Viele Geschäfte und Werkstätten hatten noch alte, schwere Türen aus verwittertem Holz, beschlagen mit Nägeln, an deren Köpfen Türfarbe von früher zu erkennen war, ein Rest vergangener goldener Pracht, und Rost. Drei Lebensalter einer Tür, eines Handwerkerlebens, sprachen mit den gequetschten Stimmchen der von Hammerschlägen bezwungenen Nägel, die im faserigen Holz steckten wie die Fleischstücke im Eintopf.
In einem galicischen Restaurant gegenüber der Kirche Santa Maria del Mar schlürfte Carvalho eine Tasse Bouillon und aß ein Stück Käse, der sehr weich war und etwas fade schmeckte. Eines mußte man seinen Verwandten lassen, der Käse, den sie ihm schickten, war genießbar. Dann ging er auf die Via Layetana hinaus. Als er an der Polizeihauptwache vorbeikam, warf er den gewohnten vorsichtigen Blick darauf, den er vor sich selbst nicht zu rechtfertigen brauchte: Er fühlte sich unwohl in dieser Gegend und beschleunigte seinen Schritt, als wäre ihm plötzlich etwas ganz Wichtiges eingefallen.
Er betrat ein Kino und ließ einen Sexfilm spanischer Machart über sich ergehen, in dem der angebliche Schwule, der in diesen Filmen immer auftaucht, am Ende verheiratet ist und Kinder gezeugt hat mit einer Frau, deren Gesicht einem Seeteufel gleicht. Die Rolle dieser Frau mit dem Seeteufelgesicht spielte Prinzessin Ira von Fürstenberg. Nach dem Kino freute er sich auf eine eisgekühlte
horchata
und wollte dann die Ramblas hinuntergehen. In der abendlichen Kühle hatte sich der Mittelstreifen der Ramblas wieder mit Fußgängern und beschaulichen Menschen bevölkert, die unter den Platanen auf Klappstühlen saßen und das unerschöpfliche Schauspiel der anderen betrachteten. Er wußte nicht so recht, ob er eine Zeitung oder bei dem Blinden an der Ecke ein paar Lotterielose kaufen sollte, schließlich entschied er sich für die Lose.
Dann ging über den großen Parkplatz in der Calle Pintor Fortuny, um sein Auto zu holen. Es war schwierig, in der Nähe von Quetas Salon einen Parkplatz zu finden, um die Mädchen beobachten zu können, wenn sie nach Feierabend herauskamen. Er fuhr über die Calle del Carmen zurück auf die Ramblas. Am Ende der engen grauen Straße leuchtete der barocke Glanz der Bethlehemkirche und das erfrischende Bild der Blumenstände in der Mitte der Ramblas. Er lenkte sein Auto in den Verkehrsstrom zum Hafen. Das langsame Tempo des gestauten Verkehrs erlaubte ihm, auf Mädchen zu warten, die er in Phasen plötzlicher Beschleunigung überholt hatte, und wie ein Spanner, der jederzeit fliehen kann, das Gewimmel der frischen Schatten zu genießen, die die Ramblas mit Nächtlichkeit befleckten. Sie waren ein komplettes Universum, das am Hafen begann und in die enorme Mittelmäßigkeit der Plaza de Cataluña mündete. Die Ramblas hatten die weise Launenhaftigkeit des Sturzbachs bewahrt, dem sie ihre Entstehung und ihren Namen verdankten. Sie strebten wie das Wasser einem Ziel zu, wie die Menschen, die zu jeder Tageszeit über sie hingingen und sich mit Weile verabschiedeten von den Platanen, den bunten Kiosken, dem launischen Handel mit Papageien und Meerkatzen, dem käuflichen Garten der Blumenstände und der Archäologie der Gebäude, die drei Jahrhunderte Geschichte einer geschichtsträchtigen Stadt verkörperten. Carvalho liebte diese Promenade, wie er sein Leben liebte, als etwas Unersetzliches.
Er schickte sich an, in das Gewirr der Gäßchen des Barrio Chino vorzudringen, sobald er den Eingang des
Liceo
erreicht hatte. Die Ungeduld der Autofahrer hinter ihm verhinderte jedoch die aufmerksame Suche nach einer Parkmöglichkeit in der Nähe des Friseurgeschäfts. Er machte eine vollständige Drehung, um wieder auf die Ramblas zu kommen und noch einmal einzutauchen in die Ökonomie der Straßen, die
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