Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
Gebäude aus einem fast roten Stein war gekrönt von spitzen Festungstürmen, die mit glasierten Keramikziegeln gedeckt waren.
Über eine bunte Mosaiktreppe gelangte man zu einer dreifachen, spitzbogenüberwölbten Tür, die aus dunkelviolettem Sandstein gehauen war, in dem Milliarden kleiner Kristalle und eingelassene Keramikstücke wie Edelsteine blitzten. Teresa kam Carvalho außer Atem nach.
»Warum hast du nicht auf mich gewartet?«
Sie öffnete die mittlere Spitzbogentür, und sie betraten eine große Eingangshalle. Die Feuchtigkeit schien den Raum sichtbar auszufüllen und war wie ein Schweizer Käse, durchlöchert von verschiedenfarbigen Sonnenstrahlen, die durch bunte, ein wenig beschädigte Glasfenster drangen. Die vielfarbigen Glasfenster zeigten Darstellungen des Handwerks und der Künste im Katalonien des Mittelalters und der Renaissance. Die hohen Wände waren durch gotisch anmutende Rippen gegliedert und ab und zu unterbrochen von stuckierten Basreliefs, deren braune Farbe einmal glänzend gewesen war. Am Beginn der Treppenbalustrade aus kaffeebraunem Marmor schwang ein großer St. Georg aus ausgeblichenem Gips seine Lanze gegen eine Drachenechse, die sich zornig aufbäumte. Im Hintergrund, über dem ersten Treppenabsatz, bündelte eine Rosette mit der Flagge Kataloniens die Inszenierung zu einer zielgerichteten Apotheose der Allmacht einer Bourgeoisie in den Jahren ihrer Reife und schöpferischen Kraft.
»Es wäre vergeblich, wenn ich versuchen würde, dir alles zu zeigen. Es gibt hier Zimmer, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr betreten habe. Sie sind abgeschlossen. Wenn wir früher den Sommer hier verbrachten, brauchten wir vier Hausmädchen!«
Neben dem Treppenaufgang ging es seitlich zu der holzgetäfelten Bibliothek, von deren Decke hölzerne Stalaktiten herabhingen, die das Geäst eines Zauberwaldes imitierten. Bücher bedeckten jeden Quadratzentimeter der Wand. Sie gingen weiter in den anschließenden Salon, in dem schwere, ziemlich mitgenommene Sessel auf das Wunder zu warten schienen, daß das Feuer wieder in dem großen offenen Kamin aus grauem Stein aufflackern würde. Er war den Feuerstellen der geheimnisvollen alten Gutshäuser des Landes nachempfunden. Carvalho sah sich den offenen Kamin genau an. Keine Spur von schlechtem Kaminholz seit mindestens fünfhundert Jahren, dachte er mit einer gewissen Empörung. Vom Salon aus gelangte man in das Eßzimmer, das so majestätisch wirkte wie der Konferenzsaal einer englischen Bank, eingerichtet nach den Empfehlungen von William Morris. Der ernste neugotische Geist des Raumes wurde ins Lächerliche gezogen durch vier Gemälde von Sunyer, die an den Wänden hingen. Bilder aus Ackerbau und Viehzucht, dachte Carvalho ohne Begeisterung. Vom Eßzimmer aus gelangte man zu einem engen, kleinen Flur zwischen den Küchenräumen, in denen noch der ranzige Geruch der letzten Mahlzeit vergangener Zeiten hing. Eine unrationelle Küche mit verbeulten Kochtöpfen an den Wänden und Steinkohleherden mit Resten von Kacheln, die aufgrund der Hitze oder zu nasser Flanelltücher gesprungen waren.
Von der Küche aus führte ein ähnlicher Flur wie der, der sie mit dem Eßzimmer verband, zur anderen Seite. In der Mitte dieses Flurs begann eine Treppe, die zum Weinkeller hinabführte, der Flur selbst führte weiter zur Eingangshalle.
»Die Zimmer sind oben.«
Teresa lief vor ihm die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Carvalho folgte in ihrem Kielwasser, bis sie durch eine schwere Flügeltür aus geschnitztem Holz in das herrschaftliche Schlafzimmer gelangten. Eine hohe Bettstatt mit Spitzbögen und einem Baldachin. Ein Toilettentisch im neoklassizistischen Stil mit Klappspiegel. Eine Mahagonikommode mit Blumenmotiven und einer Marmorplatte, die von schwarzen Rissen durchzogen war. Carvalho schenkte in diesem Moment dem Gemälde noch keine besondere Aufmerksamkeit, das über der Kommode gegenüber dem Bett an der Wand hing. Er tat es erst später, als Teresa ihn an den Händen faßte und zu dem parkettierten Podium führte, über das man die Lagerstatt bestieg. Als er auf die Matratze fiel und bevor er sich in Stellung brachte, ließ er den Blick noch einmal über die Wände schweifen, und dabei fiel ihm das Gemälde mit den schrecklichen, beinahe fluoreszierenden Farben auf. Es war das klassische moralisierende Bild, das sich die fromme Bourgeoisie im Schlafzimmer aufhängte, um der Versuchung zu widerstehen, die Beschränkungen des
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