Per Anhalter (German Edition)
schwieriger Spagat. Die Sorge um ihren Sohn, die Arbeit, die sie heute gewiss nicht würde antreten können und wo sie noch anrufen musste, ihr Vater, mit dem sie bisher immer offen reden konnte und zu dem sie jetzt gerade keinen Draht mehr fand, weil eine völlig neue Situation entstanden war ( vielleicht finden wir jetzt nie wieder einen Draht zueinander, war ihre Sorge), und auch noch Nadja, die sie trotz ihrer Verzweiflung nicht vergessen durfte.
Sie musste im Augenblick ihr Mittelpunkt sein, denn sie war ihr Kind, und sie litt garantiert am meisten unter der ganzen Situation. Es wäre eine Gemeinheit, jetzt auch noch die von ihr besorgten Brötchen zu verschmähen. Und Nadja konnte so süß sein. Sie hatte extra an Mohnbrötchen gedacht, weil sie wusste, dass ihre Mama die am liebsten mochte.
Sie nahm sich die Butter, fing an, dass Brötchen zu bestreichen.
Abgesehen vom Grunzen der Kaffeemaschine war es komplett still in der Küche.
Eine schwere, höchst unangenehme Stille.
Warum redet ihr beide nicht miteinander? Warum guckt ihr mich alle an? Ihr guckt mich doch an, oder? Sie schaute auf – niemand sah sie an.
Nadja spielte mit ihrem Haargummi und ihr Vater starrte einfach so ins Leere, völlig zurückgezogen in die Welt seiner Gedanken.
Hört auf damit, bitte! Redet! Macht es so wie sonst auch und macht es uns nicht noch schwerer, als es sowieso schon ist. Hallo? HAL-LO???
„Und wo… hast du Mutti gelassen?“ fragte sie schließlich.
Sie musste einfach irgendwas sagen, die Stille war unerträglich.
„Hm?“,
„Wo hast du Mutti gelassen?“,
„Zuhause. Sie hat doch nachher Fußpflege um elf.“,
„Ach so, ja.“
Die Kaffeemaschine grunzte weiter. Nadja putzte sich die Nase und sagte,
„Ich geh erstmal in mein Zimmer.“,
„Das tu du man“ meinte ihr Vater. Irgendwie war es gut, dass sie ging. Noch lieber wäre ihr jedoch gewesen, wenn ihr Vater gegangen wäre. Ihr Bein fing wieder an zu zittern. Unterdessen füllte sich die Küche mit dem Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee.
Sie biss von ihrem Brötchen ab. Es war nur mit Butter bestrichen.
In dem Moment, in dem sie hineinbiss, wäre ihr beinahe schon der Mageninhalt wieder hochgekommen. Sie legte dass Brötchen ab und raunte. Mit viel Mühe bekam sie es aufgekaut und runter geschluckt, der Rest aber musste liegen bleiben.
Jetzt sah ihr Vater sie tatsächlich an – aus seinen noch immer geröteten Augen. Er setzte sich seine Brille wieder auf und nahm sie im gleichen Moment wieder ab. „Hast du mal ´n Brillenputztuch?“
Das reichte jetzt. So konnte es nicht weitergehen. Es war das reinste Laienschauspiel.
„Ja, hab ich. Papa, du musst jetzt nicht meinen, dass ich dich nicht mehr lieb hab oder so, aber… Das ist… Mich nimmt das alles einfach so mit. Das musst du doch verstehen. David ist mein Sohn “
Er nickte bedächtig und legte seine Hand auf ihren Oberschenkel.
„Ich weiß, Schatz. Ist gut. Du hast Recht, ich hätte nicht so mit der Tür ins Haus fallen sollen vorhin. Tut mir Leid.“,
„Schon okay.“,
„Wirklich?“,
„Ja!“,
„Aber ich… Muss eben auch… mit meinen Gefühlen.“,
„Ich weiß, Papa. Aber du kannst nicht ernsthaft annehmen, dass David einen Polizisten umgebracht hat. Verstehst du? Ich bin krank vor Sorge um ihn. Wer weiß, an wen er geraten ist. Du kennst David auch seit mehr als 16 Jahren, und du weißt, dass er kein schlechter Mensch ist, oder? Er tut keiner Fliege etwas zuleide. Aber stell dir mal vor… wenn die ihn jetzt… Was ist, wenn er unterwegs überfallen wurde oder so.“,
„Ich weiß auch gar nicht, was dieser Junge überhaupt los fährt.“,
„Meine Güte, Papa! Begreif es doch endlich, der Junge ist sechzehn . Er wollte zu seiner Freundin.“,
„Aber er kann doch nicht zu seiner Freundin fahren, wenn er hier zu Hause noch einen ganzen Arsch voller Probleme hat. Sich über dich hinwegsetzen und einfach abzischen…“,
„Doch, Papa, er kann! Wie du siehst kann er das.“,
„Ja, aber das… da kann man doch… ich kann da irgendwo kein Mitleid mehr mit ihm haben, verstehst du? Das ist auch nicht böse gemeint, Schatz, aber das, was der Kerl abzieht, geht auf keine Kuhhaut mehr.“,
„Er ist mein Sohn , Papa. Und wenn die Polizei herkommt und mir sagt, sie haben sein Handy gefunden, das mir da der Arsch auf Grundeis geht, dass musst du dir doch wohl vorstellen können oder etwa nicht.“,
„Ja, meinst du bei uns ist das anders?“,
„Nein,
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