Per Anhalter (German Edition)
Hecken und Gras, Gras, Gras.
Kein Mensch weit und breit. Und vor ihm genau dasselbe Bild.
Ich kann doch jetzt nicht umkehren weil ich vor irgendwelchen Geistern Angst habe.
Du tickst wohl nicht mehr ganz sauber, Wolfgang.
Er steckte sich eine Zigarette an, legte den Leerlauf ein und zog die Handbremse an. Dann stellte er den Motor ab, öffnete die Tür und lehnte sich an sein Fahrzeug. Jetzt erst wurde ihm bewusst – wirklich bewusst – dass er soeben fast eine schwere Straftat begangen hätte. Wenn die Frau vor einem normalen Haus gehalten hätte oder auf einen Parkplatz gefahren wäre – er hätte sie eiskalt vergewaltigt. Er war in genau der richtigen Stimmung gewesen, um Grenzen zu übergehen.
Vielleicht war es gut, dass alles so gekommen war. Andererseits erinnerten ihn die körperlichen und vor allem die psychischen Schmerzen daran, dass sie es eigentlich wirklich verdient hätte, dass jemand ihr zeigte wo der Hammer hing.
Er schaute auf seine Beretta und erschrak vor sich selbst. Ich werde gleich umkehren und dann… Mal sehen was dann… Ich muss total durchgeknallt sein… Komplett von der Rolle! Ich könnte sie anzeigen. Das Kennzeichen hatte er sich gemerkt. Vielleicht sollte er es sich aufschreiben, überlegte er, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Aber was soll ich der Polizei denn erzählen? Wenn ich die Wahrheit sage, werden sie mir erklären, die Frau hätte in Notwehr gehandelt. Und die blöde Kuh würde genau das bestätigen. Sie würde sagen: Es war Notwehr, der böse Onkel hat mich bedrängt. Und wem glauben die Bullen wohl? Einer zierlichen Mieze oder dem großen, bösen Onkel?
Eine vertrackte Situation.
Er wollte das alles immer noch nicht so auf sich beruhen lassen, obwohl er von seinen gewaltsamen Plänen mittlerweile abgerückt war.
Plötzlich kam ihm ein neuer Gedanke: Was ist, wenn die blöde Kuh mich angezeigt hat? Ich folge ihr hierher und auf einmal ist alles voll mit Bullen und ich muss mich rechtfertigen, zum Beispiel, was es mit der Knarre auf meinem Beifahrersitz auf sich hat (die Beretta war nicht registriert. Nicht auf ihn und auch auf niemanden sonst. Er hatte sie einst von einem, wie sagt man, guten Freund unter der Bedingung zugeschustert bekommen, dass alles unter dem Mantel der Verschwiegenheit blieb). Er rieb sich die Stirn. Er musste jetzt genau durchdenken, was zu tun war.
Ich habe nichts Verbotenes getan, verdammt noch mal. Mit ihr geflirtet habe ich, weiter nichts. Das ist nicht verboten. Sie hat sich sogar darauf eingelassen und mir Interesse signalisiert. Sie hat es getan um mir weh zu tun. Das ist Selbstjustiz! Scheißegal ob eine Frau das macht oder ein Mann. Wenn sie sich von mir bedrängt gefühlt hat, hätte sie mir ja aus dem Weg gehen können… Ich habe keine Freiheitsberaubung ausgeübt. Sie hätte mir einfach aus dem Weg gehen können. Ich habe sie nicht aufgehalten, sie nicht einmal angefasst. Sie hätte nur aus dem Waschsalon rennen und Hilfe schreien brauchen. Aber mich angreifen… Das war auch nicht legitim. Unfassbar wie sehr er sich dafür noch immer schämte. Ein ausgewachsener Mann war von einer kleinen Frau angegriffen worden und hatte sich ihrer Gewalt fügen müssen. Doch wie immer er es drehte und wendete, letztendlich würde es immer Aussage gegen Aussage stehen.
Er würde behaupten, sie hätte ihn angegriffen, sie würde erklären, es war Notwehr. Sie würde sagen, er hätte sie bedrängt, er würde sagen, er hätte es nicht getan.
Was sollte dabei herum kommen? Im Zweifel würde sie sowieso mit allem durchkommen, weil die Polizei eher ihr glauben würde, als einem Mann, der sich im Waschsalon auf die Pirsch nach Frauen legte. Das war einfach so. Er war bisweilen nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten, und trotzdem würde er keine Chance haben.
Wenn er darauf pochte, dass er einmal als Anwalt fungiert hatte, würde die Frage aufkommen, warum er heute nicht mehr als Anwalt tätig war. Und dann würde die Sache mit dem Unfall hoch kommen… Die Sache mit den Kopfverletzungen… Die Polizei würde seine Freunde und die Familie aushorchen und alle würden bestätigen, er hätte sich verändert… Gut, dass ich nichts getan habe.
Er schwitzte aus sämtlichen Poren.
Das war wirklich eine ganz knappe Nummer, denn wenn er diese Frau allein vor sich gehabt hätte… Er hätte seine Pläne in die Tat umgesetzt, gar keine Frage.
Er schlich um seinen Wagen herum. Unter dem Kotflügel befanden sich große Mengen Gras, genauso
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