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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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wie in den Radkästen. Überall klebten tote Mücken und Fliegenkadaver.
    Wer weiß, was hier alles im hohen Gras herum kraucht.
    Vielleicht sollte er sich einfach ins Auto setzen, umkehren und die nächste Waschanlage aufsuchen.
    Verdammt noch mal, ich bin ein gutaussehender Mann, ich bin auf so eine kranke Trulla nicht angewiesen. Ich kann jede andere haben, ohne mich dafür mit dem Gesetz anlegen zu müssen. So leicht der Gedanke auch zu denken war, so schwer haderte er dennoch mit seinem Schicksal. Sein Hals und auch seine Seiten taten noch immer weh. Verdient hatte sie es wirklich nicht, dass man sie damit durchkommen ließ.
    Aber schön, er war die Sache durchgegangen und hatte dabei festgestellt, dass alles das zu nichts führen würde außer zu einer Menge Ärger.
    Er legte den Kopf in den Nacken und schaute zum Himmel. Die Sonne brannte höllisch. Der Geruch hier beförderte ganze Pakete voll Kindheitserinnerungen in sein Gehirn. Irgendwie roch der Ort hier nach Kindheit. Nach der guten alten Zeit. Er schloss die Augen, atmete tief durch und lauschte.
    Grashüpfer und Grillen, davon gab es hier gewiss eine ganze Menge. Würde er sich niederknien und mit der Hand durch das hohe Gras fahren, würde er scharenweise Insekten darin finden. Er konnte ihnen bei ihrem Tun zusehen. Ameisen, die mit Halmen und Blättern und kleinen Steinen beladen waren, Spinnen, die einfach nur so zu marschieren schienen und deren Dasein trotz allem einen Sinn hatte, Käfer würde er sehen und, und, und… So wie damals, als er noch ein kleiner Junge war. Er hatte es geliebt, stundenlang Tiere zu beobachten. Selbst Fliegen, die sich auf Hundescheiße tummelten, übten eine Faszination auf ihn aus, von der er besser nie einer Menschenseele erzählte. Damals wie heute wäre man als Kind wohl vermöbelt worden, wenn die Mitschüler spitz gekriegt hätten, dass man manche einsame Stunde seiner Freizeit damit zubrachte, Insekten zu studieren. Da musste man schon ganz gewaltig einen am Kopf haben.
    Wolfgang fing an zu lachen.
    Als er die Augen wieder öffnete und die Erinnerungen an seine Kindheit hinter sich ließ, wurde ihm schwindlig. Aber es war ein wohliger Schwindel, ein zufriedener Schwindel, so wie man ihn empfindet, wenn man morgens den Rauch der ersten Zigarette einatmet oder sich an einem erfolgreichen Tag ein Bierchen genehmigt. Es ist ein Schwindel, der mit einem wohligen Kribbeln einherschreitet.
    Das Herz schlägt schneller, der Magen zieht sich zusammen und das Gehirn vermag einem die Welt für einen – meist viel zu kurzen – Moment als den friedlichsten Ort im gesamten Universum darzustellen.
    Man selbst fühlt sich wie der Mittelpunkt der Erde, wie der wichtigste Mensch, der auf ihr lebt. Alle finden einen klasse, alle lieben einen, alle empfinden Bewunderung und zollen Respekt.
    In seiner Zeit als aktiver Rechtsanwalt empfand er dieses Gefühl vor allem dann, wenn er nach einem erfolgreichen Prozess mit Lob und Dankbarkeit überschüttet wurde und bestenfalls danach in Urlaub gehen konnte. Heute empfand er es einfach so, wenn er morgens aus dem Fenster schaute und sich bewusst machte, dass er den ganzen Tag Zeit für sich allein hatte.
    Oder eben jetzt, da ihn der Geruch nach Natur in die wunderbare Zeit seiner Kindheit zurück beförderte.
     
    Der Ort, der ihm eben noch einen Schauer über den Rücken hatte laufen lassen, wirkte auf einmal wie das Paradies. Die Tatsache, dass er ein freier Mann war und nichts Verbotenes getan hatte, war das Großartigste auf der Welt. Verdammt, die ganze Welt war so großartig und wunderschön, dass er am liebsten angefangen hätte zu tanzen. Er wollte die Hecken begrüßen, den wilden Pflanzen Küsse geben, springen, singen und lachen: „Hallo, Welt! Grüß dich, alter Friedhofspinsel. Schön dich zu sehen, Brennnesselstrauch. Wie ist die Lage, Käfer, alter Junge? Seht ihr mich? Seht ihr mich alle? ICH BIN FREI, seht ihr? FREI!!! FREI!!!“ – Doch er stand einfach nur da und schmunzelte in sich hinein. Zufrieden. Und ganz im Reinen mit sich und der Welt. Schließlich ließ er sich doch noch ins Gras plumpsen und fuhr mit der Hand über die hohen Halme. Er saß im Schneidersitz da, den Kühlergrill seines Audi vor Augen und die Hecken und die alten Jägerzäune der ehemaligen Kleingärten. Was war auf einmal mit ihm los? Er fühlte sich einfach himmlisch gut!
    Er drückte seinen Kopf zwischen die Halme, atmete tief ein und küsste die Erde. Er war ein kleiner Junge…
Ein

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