Per Anhalter (German Edition)

Kennzeichen nicht aus Schleswig oder aus der Region stammte. Es lautete RV, für Ravensburg, SY 005 und war definitiv nicht ordnungsgemäß angebracht. Es hing schief.
    Merkwürdig . Vielleicht sind sie erst vor kurzem hergezogen. Das würde auch erklären, dass sie in den Waschsalon muss. Vielleicht ist ihre Waschmaschine noch in Ravensburg und kommt erst noch hinterher. So wird es sein. Sie ist vor kurzem hier rauf gezogen und nun brauchte sie einfach eine Gelegenheit um ihre Wäsche zu waschen, weil das Umzugsunternehmen die Sachen erst später hierher bringt… oder sie kommen auf einem anderen Weg, zum Beispiel mit der Bahn… Oder sie müssen noch mal nach Ravensburg runter, um die Sachen zu holen. Dass das Nummernschild schief saß, interessierte ihn nicht weiter. Das kam öfter vor. Vielleicht war es mal in der Waschanlage abgefallen oder so. Aber was kümmerte ihn das überhaupt?
    Wenn sie einen Mann hat, mach ich ihn auch gleich frisch. Ich werde ihm erzählen, dass seine Frau mich tätlich angegriffen hat… Nachdem sie mich angebaggert hat… er grinste wieder. Das Leben war doch köstlich – es sah immer noch gut für ihn aus. Ein echter Glückstag.
    Nur so ganz allmählich hatte er keinen Bock mehr, ihr zu folgen. Sie bog nun auf einen buckligen Feldweg ab, fuhr dann wieder links und ein ganzes Stück geradeaus. Bemerkt haben würde sie ihn jetzt doch auf alle Fälle, oder? Wenn nicht, dann war sie ganz beschränkt… Er hoffte, sie würde rechts ran fahren um den unheimlichen Fremden hinter sich vorbei zu lassen, der sie seit einer Ewigkeit verfolgte, aber sie machte keine Anstalten.
    Die Sache direkt hier draußen am Straßenrand zu erledigen wäre natürlich ideal , dachte er. Wenn sie den Blinker setzt werde ich dasselbe tun und mich hinter sie stellen. Dann hat sie zwei Möglichkeiten – entweder sie tritt auf die Tube und haut ab, oder sie steigt – ganz die selbstbewusste Tussi – aus, und fragt, warum ich sie verfolge. Dann wird sie mich sehen und wird ausflippen… sie wird richtig wütend werden. Aber dann… dann bin ich dran. Dann halte ich ihr die Beretta vor die Nase und stelle sie vor die Wahl: Lutsch meinen Schwanz oder meine Waffe, das kannst du dir aussuchen.
    Das war aber auch eine zu geile Vorstellung. Blas mich oder blas meinen Colt, Baby. Yii-haa! Doch wie gesagt, sie machte keine Anstalten. Sie fuhr immer weiter und weiter geradeaus. Inzwischen war Wolfgang nur noch genervt von dem Gedudel aus dem Radio.  Er stellte es ab. Die Frau hatte es wirklich drauf, ihm die Laune zu verhageln. Schon zum zweiten Mal heute. Weit und breit war hier nichts – es war eine total verlassene Gegend. E
    rst nach einer gefühlten Stunde kamen sie wieder an Häusern vorbei. Hier muss es doch wohl irgendwo sein, verdammt noch mal. Sie raste mit über 120 Sachen durch Ortschaften. Geschwindigkeitsbeschränkungen schienen sie einen Dreck zu kümmern.
    Sie kamen an einer Gruppe von Radfahrern vorbei – oder besser gesagt: sie flogen an einer Gruppe von Radfahrern vorüber – die allesamt wild gestikulierten und ihnen den Vogel zeigten. Es sah wie eine Gruppe von fettleibigen Bürohengsten- und Stuten aus, die einen Betriebsausflug auf dem Rad unternahmen. Wahrscheinlich öffentlicher Dienst, dachte Wolfgang, und dieses Mal musste er der beknackten Trulla ausnahmsweise Respekt zollen. Sie machte sich nichts daraus, sie zog ihr Ding durch. Und wenn sie mit über hundert durch eine Ortschaft donnern wollte, dann bretterte sie halt mit über hundert durch die Ortschaft. Aber er konnte nicht glauben und, dass sie ihn noch nicht bemerkt hatte.
     
    Hinter einem alten Fabrikgelände bog sie schließlich rechts ab. Sie blinkte nicht und verlangsamte auch kaum das Tempo als sie in den ungepflasterten Weg abbog. Er ging voll in die Eisen, doch er verpasste die Einfahrt.
    Resigniert und überrascht sackte er im Sitz zusammen.
    Sie hinterließ eine gigantische Staubwolke.
    Das hast du dir wohl so gedacht, was? Einfach abhauen. Ich krieg dich schon noch .
    Er legte den Rückwärtsgang ein und fuhr bis zur Einfahrt.
    Da wurde er auf einmal stutzig.
    Ein mit Moos bedecktes Schild wies in verblichenen Buchstaben Kleingartenkolonie Mückebusch aus.
    Irgendwas war da mal... Irgendwas... Er konnte sich vage an etwas erinnern... Es lag jedoch schon lange zurück... Sehr lange.
    Kleingartenkolonie Mückebusch. Die gibt es gar nicht mehr. Die sollte platt gemacht werden. Da wollte doch... Da war doch dieser Baulöwe