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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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Kind.
    „Ist gut. Ist alles gut.“ sprach sie leise.
    Dann: „Sonja, du stehst jetzt auf. Haben wir uns verstanden, Fräulein?“,
    „Ja-haaa!“, „Nix ja-haaa. Du spinnst wohl!“
    Wieder öffnete er die Augen einen winzigen Spalt. Britta hatte wieder ihr Handy in der Hand und hielt es sich ans Ohr. Sie hatte das Baby tatsächlich auf dem Arm und setzte es in den Hochstuhl. Anschließend holte sie ein Glas Babynahrung aus einem der Hängeschränke. Das alles wirkte wieder so grotesk normal. So befremdlich herkömmlich.
    Einerseits war diese Frau total gestört, andererseits war sie wie jeder andere Mensch auch. Das machte es so schwer sie zu hassen. Allein die Rückschlüsse auf seine Mutter erschwerten es. Bei Sonja oder Lasse hatte er keine Probleme damit, bei Mario ebenso wenig, aber Britta wirkte in vielen ihrer Züge so human, so unverfänglich und... sie hatte eine Ausstrahlung , die auf eigenartige Weise sanft war. Und Respekt einflößend zugleich. Sie war der Teufel in Person. Vielleicht, nein bestimmt, war sie gefährlicher als alle anderen zusammen. Durch ihre Ausstrahlung... Durch ihre Art, das Baby zu füttern, die Oberhand zu haben, so normal zu erscheinen. So voller Zorn und Liebe zugleich. Sie war unberechenbar und auf abstrakte Weise sogar erotisch. Diese Frau, dieser menschgewordene Teufel... Der von der gestressten Mutter zur Furie mutierte - wohlgemerkt, binnen Sekunden! So wie jetzt - sie schleuderte das Handy auf den Tisch, riss die Tür auf und schrie:
    „Lassäää! Schmeiß diesen beschissenen Stock weg und hilf Papa! Auf der Stelle!“
    Mario fragte zum wiederholten Male, was mit Uwe sei und sie fuhr ihn an, dass er noch immer nicht an sein Handy ging und sie auch keinen Bock mehr hätte, hinter ihm her zu telefonieren. Anschließend knallte sie die Tür wieder zu und widmete Sonja ihre Aufmerksamkeit, die nun am Tisch saß und betrübt drein schaute.
    Beleidigt! Ein kleines beleidigtes Mädchen.
    „Und du Fräulein hörst auf so ein Gesicht zu ziehen. Haben wir uns verstanden?“
    Sie hatte irgendwas in der Hand womit sie spielte und das ließ sie auf den Tisch krachen. Daraufhin packte Britta sie an den Haaren, riss diese weit nach oben und zischte:
    „Noch einmal Sonja. Noch ein einziges Mal und ich reiß dir deine Haare raus. Haben wir uns jetzt endlich verstanden?“
    Sonja schrie. „Jaaa jaaa-hahaha“ Dann ließ Britta sie los.
     Er dachte: Gleich wird sie sich mir widmen. Eine Vorstellung, die ihm im nicht wirklich gefiel. Schon gar nicht in ihrem jetzigen Zustand…
     „Hör auf zu heulen, verdammt. Meine Güte, bin ich hier im Kindergarten oder was? Sieh zu jetzt.“
    Was Sonja daraufhin entgegnete, war beim besten Willen nicht zu verstehen. Es klang wie das aufgeregte, von Tränen erstickte Gebrabbel eines Kleinkindes. Ihm war schon bei der letzten Beobachtung aufgefallen, dass sie exakt wie ein Kleinkind klang wenn sie weinte, und genau so von Sinnen schrie, wie ein Kleinkind. Kopfmäßig war sie demnach also auch noch auf dem Stand eines Kleinkindes. Dabei sah sie wie eine Erwachsene aus. Aber das täuschte – sie war nicht erwachsen. Noch nicht mal ansatzweise. Sie musste irgendwo im Alter zwischen drei und fünf Jahren in der geistigen Entwicklung stehen geblieben sein, denn anders war ihr Verhalten nicht zu erklären. Sie versuchte sich zu artikulieren, doch was heraus kam, war nur dieses fürchterliche, aggressiv machende Kauderwelsch. Ein weiteres Indiz für die These, dass sie geistig behindert war: Die zähen Sabberfäden, die jetzt aus ihrem Mund und der Nase hingen. Und die Art, wie sie auf dem Stuhl saß. Stocksteif. Den Blick geradeaus gerichtet. Und ihre leeren Augen, die förmlich zu schreien schienen, dass dahinter nicht mehr verborgen lag als ein erbsengroßes Hirn mit Funktionsschwäche. Selbst das Baby wirkte aufgeweckter, interessierter und schien mehr von der Umwelt wahrzunehmen als Sonja.
    „Halt den Mund!“ zischte Britta immer wieder. „Halt den Mund!“ – und zwar genau so lange, bis Sonja endlich den Mund hielt. Sie hatte ihre Arme überkreuzt.
    Der Rotz war bis auf ihre Kleidung hinunter geträufelt. Sie würde nicht von selbst auf die Idee kommen, sich den Mund abzuwischen oder sich die Nase zu putzen.
    Britta saß am Tisch, fütterte das Baby mit einem Plastikteelöffel. Auch sie wirkte geistesabwesend. Eine funktionierte, autoritäre Erwachsenenhülle und ein Geist, der irgendwo im roten Bereich von Wahnsinn und totalitärer

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