Per Anhalter (German Edition)
hören, aber niemand hörte ihn. Es war ein Geräusch, als ob jemand die Hecke schnitt. Irgendwo - Milliarden von Kilometern entfernt, irgendwo hinter der Wand aus Nebel... So diese denn ein Ende hatte. Tante Inge auf ihrem Bauernhof vielleicht. Das war möglich. Die Luft roch süßlich nach Landwirtschaft und frischer, reiner Erde. Sie roch nach Kindheit und Freiheit... Nach Unendlichkeit. Wenn er die Augen aufmachte, würde er Tante Inge und Onkel Martin sehen, wie sie die Hecke um ihr Anwesen schnitten. Es waren Mamas Onkel und Tante. Er selbst hatte weder Onkel noch Tante. Aber Mama sagte Tante Inge und Onkel Martin, also sagte er es auch. Hier fühlte er sich sicher und geborgen. Er lag auf einer Hängematte. Eine leichte sommerliche Brise wehte ihm um die Nase. Bald würde Tante Inge ihm ein Glas Deit-Limonade bringen. Er mochte das Zeug zwar nicht besonders, aber es gehörte dazu, wenn er hier war. Doch erst einmal schnitten sie die Hecke... Und schnitten und schnitten und schnitten. Der Nebel wurde wieder schwarz... Und es wurde still. Gleich kommt sie mit der Limonade. Gleich...
***
David öffnete die Augen. Sein erster Gedanke war, dass er irgendeinen ziemlich abgefahrenen Scheiß geträumt haben musste.
Nur konnte er sich an nichts erinnern, außer an das Geräusch einer Heckenschere. Und an Tante Inge und Onkel Martin, bei denen er in der Hängematte lag. Er schloss die Augen, öffnete sie dann wieder und stellte fest, dass er ungeheuren Durst hatte.
Bis jetzt war ihm noch gar nicht bewusst, dass das Bett auf dem er lag, nicht in seinem Zimmer stand. Bevor er überhaupt davon Notiz nahm, stellte er zunächst fest, dass er sich völlig kraftlos fühlte. Es reichte nicht einmal um sich aufzusetzen. Dann der Schock in Form einer gewaltigen geistigen Ohrfeige. Es dämmerte ihm wieder... Er lag im Wohnwagen. In DEM Wohnwagen. Vollgepumpt mit Adrenalin versuchte er sich aufzusetzen. Vergebens.
Waren sie hier? Was hatten sie mit ihm gemacht?
Er zwang sich zur Ruhe. Er lebte noch. Und so wie es aussah, war er allein.
Wieder unternahm er den Versuch, aus seiner liegenden Position hoch zu kommen. Es klappte nicht. Entkräftet und schwer atmend sank er zurück.
Warum klappt das nicht? Warum kann ich nicht aufstehen?
Ein Teil von ihm resignierte vollkommen, während ein anderer ihn dazu ermahnte, einfach ruhig zu bleiben. Check erstmal die Lage. Du hast es einmal geschafft, auszubrechen, dann schaffst du es auch ein zweites Mal. Aber er wollte die Lage nicht checken. Nicht schon wieder! Er wollte einfach nur nach Hause. Warum taten sie ihm das an? Warum? Es gab darauf keine Antwort!
Irgendetwas war anders an dem Wohnwagen. Es war ihm gerade eben schon aufgefallen. Er wirkte auf einmal so viel größer und komfortabler als zuvor. Auch lag er hier in einem Bett, das wirklich sehr gemütlich war. Außerdem bemerkte er jetzt, dass die Wände aus holzvertäfelt waren. Sehr ungewöhnlich für einen Wohnwagen.
Genau wie die Fenster… Es waren richtige alte Holzfenster mit Gardinen davor, die ein Pril-Blumenmuster hatten.
Weil er noch immer nicht die Kraft hatte, sich selbständig aufzusetzen, blickte er seitlich aus dem Bett heraus. Er sah einen stark verdreckten Holzfußboden und eine Holztür mit schmiedeeisernem Griff. In einem Wohnwagen? , fragte er sich. Das gibt es doch nicht in einem Wohnwagen. Das hier ist irgendetwas anderes, aber ganz bestimmt kein Wohnwagen. Eher eine Holzhütte oder so.
Was sollte er machen? Sich wieder selbst beunruhigen? Die Nerven verlieren?
Nein! Er musste ruhig bleiben. Ruhig und locker. Den Fehler, völlig die Fassung zu verlieren und impulsiv zu handeln, hatte er jetzt wirklich oft genug gemacht. Damit angefangen, dass er sich überhaupt auf sein Fahrrad geschwungen hatte und per Anhalter gefahren war. Das allein war arg unvernünftig und rein impulsiv und gedankenlos. Die Scheiße hatte er sich selbst eingebrockt, und sich selbst auch immer tiefer in sie hineingeritten.
Diese verwahrlosten Kreaturen hatten ihn wieder in ihre Gewalt gebracht, und es würde nun garantiert nicht leichter sondern eher immer schwieriger werden, sich aus ihrem perfiden Spinnennetz zu befreien. Jetzt waren sie erst recht zornig. Umso wichtiger also, sich jetzt nicht völlig kopflos ins nächste Abenteuer zu stürzen, sondern erst einmal die Fakten zu sortieren.
Habe ich Schmerzen? Nein! Überhaupt nicht.
Wo bin ich hier? In einer Hütte wie es aussieht. Die Gardinen sind
Weitere Kostenlose Bücher