Per Anhalter (German Edition)
wahrsten Sinne des Wortes umdrehte.
Wie ein Mülleimer, den man umdreht um ihn auszukippen. Es begann jetzt sogar in seinen Beinen zu pumpen. Sie füllten sich mit Blut. Er öffnete die Augen, doch die Beine waren nicht mehr da! Sie existierten schlichtweg nicht mehr. Er konnte die Heckenschere hören. Sie klang wie Fingernägel auf einer Tafel.
Eine Frau mit schriller Frisur, einer Hornbrille und einem bunten Hemd stand vor einer Schultafel. Sie hatte lange Fingernägel und starrte ihn an. Dann machte sie es wieder. Wie in Zeitlupe: Die Fingernägel lagen nicht nur einfach auf der Tafel auf, sondern drangen förmlich in sie ein. Dann ließ sie sie hinunter gleiten ohne dabei auch nur ansatzweise die Miene zu verziehen. Sie wollte, dass David es sich genau anhörte, weil es wichtig war! Sie wollte, dass er verstand !!! Es kreischte in seinem Kopf, dass sich die Nackenhaare aufrichteten und er verzweifelt wimmerte. Ohne es selbst bewusst koordiniert zu haben, schlug sein rechter Arm erneut nach seinem rechten Bein aus. Ein papierenes Knistern.
Packpapier. Da ist nur Packpapier.
Aber das war immer noch nicht die Wahrheit!!! Seine Augen logen! Er rang nach Luft, fixierte das Fenster. Wahrscheinlich standen Britta, Mario, Lasse und Uwe davor und lachten sich schlapp über ihn. Genau wie dieses behinderte Pferd, Sonja.
„Ha-ha-ha!! Ihr seid echt toll, oder?“ Ja, sie standen da!
„Ich weiß, dass ihr mich mit Drogen vollgepumpt habt. Wisst ihr was? Ihr seid SCHEISSE! Und ich hab kein bisschen Schiss vor euch, kapiert? Britta? Du bist eine Fotze! Eine Nutte! Fick dich ins Knie, hörst du? Willst du nicht rein kommen und mir eine runterhauen? Oder du Lasse? Du bist so fett und widerlich und hässlich. Hast du überhaupt Freunde, Alter? Du kannst nicht mal vernünftig sprechen weil… weil deine Lippen sogar fett sind und hässlich. Ihr könnt euch ruhig zeigen. Wieso versteckt ihr euch denn? Habt ihr Schiss, hä? SCHISS??? SCHISS???“ David fing an zu lachen. Er war in ekstatisch heiterer Gemütsverfassung.
Da verstecken sich diese Feiglinge vor dem Fenster, weil sie denken, dass ich das glaube. Sie denken echt, ich glaube, was mir die Drogen vormachen wollen.
„Wichser, Wichser, Wichser!!!“ sang er. Doch niemand tauchte vor dem Fenster auf.
Schade, denn er hoffte, sie damit aus der Reserve locken, sie provozieren zu können. Besonders Lasse. Er hoffte, dass Lasses hässlicher feister Kopf hinter der Scheibe auftauchen und er mit der Faust dagegen schlagen würde. Ja, und dann würde Lasse irgendeine gequirlte Kacke labern, wie immer eben. Aber Lasse erschien nicht… genauso wenig wie Britta… Keiner von ihnen erschien am Fenster.
„WICHSER!“ schrie David erneut. Seine Stimme klang schrill, als würde er am Anfang des Stimmbruchs stehen. Doch es blieb dabei – es war niemand da und es tauchte auch niemand auf. Weder hinter dem Fenster, noch hier im Raum.
Dann fing er plötzlich an zu hyperventilieren.
Schweiß schoss ihm aus allen Poren. Ein winziger Punk irgendwo in den Tiefen seines Gehirns beharrte noch immer darauf, dass es nicht wahr sein konnte, dass sie das wirklich getan hatten. Doch als er vom Bett sprang, auf seinen frischen Stumpen landete und infolgedessen den schlimmsten Schmerz seit Menschengedenken erlebte, da war jeder Zweifel dahin. Er sehnte eine Ohnmacht herbei – oder am besten gleich den Tod. Doch weder das eine noch das andere trat ein und sorgte für Erlösung. Er durchlebte die Hölle!! Stunde um Stunde um Stunde… Und niemand kam ihm zur Hilfe. Niemand!
***
Inzwischen wusste man bei der Polizei genau wer sie war. Britta , alias Nadine Bennecke. Über sie existierte bereits ein ganzer Ordner voll brisanter Inhalte. Sie war kein reines Opfer, zumindest nicht im eigentlichen Sinne. Dafür war das Spektrum der Vorwürfe gegen sie viel zu umfangreich. Sie wurde rundweg als Einzelgängerin und psychisch instabil beschrieben. Die einen nannten sie eine herzlose, gewalttätige Schlampe, andere eine hochintelligente Psychopathin. Mit 15 wurde sie der Misshandlung eines erst neun Jahre alten Mädchens beschuldigt. Das kleine Mädchen war von ihr, unter dem Vorwand, sie würde ihr zeigen wie man eine „richtige Höhle“ baut, unter einem Haufen Bauschutt eingegraben worden. Um zu testen, ob die so genannte Höhle auch etwas aushalten konnte, musste das Mädchen selbst Versuchskaninchen spielen, während Nadine auf den Brettern, Steinen und Spanplatten herum hüpfte und
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