Per Anhalter (German Edition)
der anderen, während sie mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit fuhr. Von Zeit zu Zeit wurde ihr Gesicht rot und sie warf das Handy gegen die Mittelkonsole. Wahrscheinlich, so seine Vermutung, wenn sie versuchte, Papa zu erreichen.
„Du wirst diesen Mann in Zukunft nicht mehr deinen Vater nennen“
Stimmt, das hatte er ganz vergessen. Das waren Mamas Worte auf der Fahrt gewesen. Wohin die Fahrt ging war eigentlich klar, zu Lolle natürlich. In seine Werkstatt.
Nur war auch hier etwas anders gewesen als sonst. Sogar ganz extrem anders!
Er musste im Auto warten, während Mama in die Werkstatt ging.
Lolle hatte davor gestanden mit einem schmierigen alten Lappen in der Hand, mit dem er seine Hände abwischte. Er und Mama verschwanden nach drinnen. Es dauerte ewig.
Als Mama dann wieder kam, blutete sie aus der Nase und an den Armen.
Aber dann passierte das erste Mal etwas, das absolut untypisch war. Anstatt zu fluchen oder zu weinen, öffnete sie draußen ihre Hand und hielt lächelnd(!) einen Schlüssel hoch. Dann setzte sie sich zu ihm ins Auto. Schon da hatte Lasse instinktiv gewusst, dass es am besten war, erst einmal gar nichts zu sagen. Da hatte sie ihm das erste Mal so richtig Angst gemacht. Denn nachdem sie zuvor vor Wut nur so schnaubte, war sie jetzt so richtig gut drauf. Aber auf eine vollkommen überdrehte Art und Weise, die schlicht und einfach unecht wirkte.
Das war daran so gruselig. Und dies bestätigte sich im Laufe der nächsten Stunden mehrfach. Sie war völlig unzurechnungsfähig. Was immer dort in Lolles Werkstatt auch geschehen sein mochte – gut war es auf keinen Fall!
Sie waren dann eine ganze Weile gefahren. Mama hatte das Radio angemacht und zur Musik mitgesungen oder mit gepfiffen. Punkt Nummer zwei, der ihm alles andere als gut gefallen hatte, denn Mama verabscheute es normalerweise, beim Autofahren Musik zu hören. Schließlich erreichten sie ein Seeufer, wo Mama das Auto abstellte und folgendes zu ihm sagte: „Du wartest jetzt hier, Lasse. Abgemacht? Du wartest bis Mama wieder kommt. Ich muss nur was erledigen. Danach gibt’s was zu essen.“
Er hatte sie angestarrt, genickt, und nichts erwidert.
„Okay“ sagte sie dann und rieb sich mit beiden Händen am Kopf, wobei sie massiv zitterte (noch ein ungewöhnlicher Punkt, der ihn erschauern ließ!).
„Okay. Okay!“ immer wieder. Dann nahm sie sein Gesicht in die Hände und küsste ihn auf einmal (nächster Punkt!), „Alles wird gut, mein Baby! Mama kommt bald wieder, ja?“ Er nickte, „Ja? Hörst du? Mama ist bald wieder da. Mein Baby. Mein kleines Baby!“ Er war froh, unendlich froh , als sie das Auto verlassen hatte.
Doch er war sie noch nicht los – sie bat ihn, ihr zu helfen, David aus dem Auto zu zerren. Und da endlich lobte sie ihn doch noch dafür, dass er ihn nicht hatte entkommen lassen. Das hätte sie sich zu diesem Zeitpunkt aber bereits sparen können. Er hatte es längst bereut und wusste insgeheim, dass sie es nicht ernst meinte und mit den Gedanken ganz woanders war.
Er wollte sie fragen, was sie vorhatte, aber er ließ es dann doch bleiben. Sie würde es ihm schon erzählen, wenn sie es ihm erzählen wollte . Was er jedoch tat, war, sie um eine Zigarette zu bitten. Bereitwillig gab sie ihm sogar ihre ganze Schachtel.
„Hier mein Baby“ sagte sie, immer noch zitternd und total nervös. Es folgte der nächste Kuss. Ein schlabbriger Knutscher mitten auf die Wange, mehrfach hintereinander, als könne sie es gar nicht oft genug tun.
„Mama muss jetzt los. Ich bin bald wieder da“ erklärte sie.
„Okay Mama!“ entgegnete er ihr dieses Mal in der unbändigen Hoffnung, dass sie endlich verschwinden möge. Da schaute sie ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Nach ein paar Sekunden aber nickte sie dann, nahm Davids rechte Hand und schleifte ihn neben sich her. Vivi hatte sie im Auto gelassen.
Warum er es tat, wusste er auch nicht, aber er räumte die Sachen, die sie einengten, zur Seite, nahm sie auf den Arm und fing an, sie fest an sich zu drücken. In diesem Moment war der Fisch zum ersten Mal am Grunde des Sees und wirbelte den Dreck auf. Wie hatte Papa das bloß tun können? Und wieso war Uwe gestorben? Das war das einzige, was Mama sagte: „Uwe ist heute Nachmittag gestorben.“ Dieser Satz schien sich aus Mamas Mund direkt in seinen zu bewegen, wo er sich auf seiner Zunge breit machte und schwer wie Blei wurde. Er konnte dazu nichts sagen.
Als Mama zurückkam, sah sie aus wie
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