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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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zuhielt. Doch jetzt hörte er gar nichts mehr. Gar nichts! Draußen ging eine schwarze Gestalt vorbei. Es war natürlich Mama. Er nahm die Finger von den Ohren.
    Sie ging auf den See zu. Dort kniete sie sich hin. Dann fing sie an sich zu drehen. Und sie drehte, und drehte und drehte – und da flog Vivi davon. In hohem Bogen. Platsch! Auf Wiedersehen, kleine Vivi… Jetzt war es ihr Geruch, den er in seiner Nase hatte. Augen zu, ich muss an was anderes denken. Ich muss an was anderes denken… an was anderes.
    Meistens half das. Jetzt nicht. Ja, er hatte die Augen zu gehabt, als Mama das da draußen tat. Aber natürlich war es viel zu spät. Natürlich hatte er jedes einzelne Detail gesehen. Mama hatte sie an den Beinen gehalten, sie herum gewirbelt und ihr winziges Köpfchen entweder auf die Erde sausen lassen oder gegen den Baum dort vorne geschmettert. Die dumpfen Geräusche waren nicht bloß dumpf. Sie steckten voller Einzelheiten.
    Er hatte genau gewusst, dass Vivi aufhören würde zu schreien, als das POCK erklang. Denn das hatte wie ein Ast geklungen, auf den man drauf trat. Das war Vivis Kopf gewesen der kaputt gegangen war…
    … Er hatte die Tür aufgerissen und war aus dem Auto herausgefallen. Dann hatte er gekotzt, gekotzt, gekotzt, bis er auf dem Rücken liegen geblieben war. Das nächste, was er dann sah, war Mamas Zigarettenglut.
    Sie stand direkt über ihm. Es war bereits stockdunkel. Eine ganze Weile sagte weder sie noch er etwas. Er hörte sie atmen und den Rauch auspusten. Irgendwo schrien Möwen. Insgeheim rechnete er damit, dass das Wasser womöglich noch einmal platschen würde und Vivi um ihr Leben ruderte. Doch immerhin das geschah nicht. Vivi war tot. Sie war es wahrscheinlich schon bevor Mama sie in den See warf. Ein schwacher Trost. Sie tat ihm wirklich unglaublich leid, denn das hatte sie nicht verdient.
     
    „Mama zieht sich jetzt aus“ tönte es auf einmal in der Dunkelheit. Ihre Stimme klang so rau und laut, dass er sich richtig erschreckte, so wie es einem manchmal geht, wenn man kurz vorm Einschlafen ist und es plötzlich irgendwo im Haus scheppert oder draußen vor dem Haus jemand rum krakeelt.
    „Willst du mitkommen? Ich gehe in den See zum Baden.“ Wer weiß, was diese Aufforderung zu einem anderen Zeitpunkt in ihm ausgelöst hätte – zu jedem anderen Zeitpunkt – jetzt aber löste sie nichts aus. Nichts außer Ekel. Er schüttelte den Kopf. Er fand, sie sollte ruhig merken, was er von der Sache mit Vivi hielt. Doch es interessierte sie offenbar gar nicht. Denn anstatt nachzuhaken flog ihm plötzlich ihr Top auf die Nase. Und nicht nur das – sie kicherte!
    „Nun komm schon du kleiner Angsthase. Zieh die dicken Klamotten aus und komm mit deiner Mama in den See.“ Er hätte sie am liebsten erwürgt! Doch sie machte weiter.
    „Haallo? Meister Jakob. Aufstehen! Komm in den See. Du könntest eine kleine Dusche auch vertragen.“ Er spürte, dass sie direkt vor ihm stand. Und er hörte das Geklimper ihrer Gürtelschnalle. Sie zog sie aus und auch sie landete auf ihm. Dieses Mal auf dem Bauch.
    „Aaach Mensch, du faule Socke.“ Dann ertönte ein schlüpfriges Geräusch von Gummi. Sie zog ihren Slip aus. Wohin sie diesen kickte, wusste er nicht. Vielleicht ließ sie ihn auch einfach auf dem Boden liegen.
    „DANN NICHT!“ tönte sie frohen Mutes. Ihre Schritte entfernten sich. Dann platschte das Wasser und sie machte „Boah-how-how-how! Ist das kalt!“ Und wieder platschte es. Sie stöhnte und kicherte.
    „Lasseee? Komm dich waschen du fauler Hund!“ Aber er dachte nicht einmal daran. Er dachte vielmehr Hilfe, diese Frau ist wahnsinnig. Sie badet in dem See, in dem ein totes Baby schwimmt. Sie badet und hat richtig gute Laune. Es war so abartig, so pervers, dass selbst Lasse vor lauter Entsetzen stöhnte und wütend ihre Kleider von seinem Körper abwarf. Er war fassungslos! Doch sie schwamm weiter und immer weiter raus. An mehr konnte Lasse sich nicht erinnern.
     
    Er war am Morgen aufgewacht und im ersten Moment nahm er noch an, dass alles wie immer war. Es dauerte diese berühmten paar Sekunden, bis alles mit voller Härte auf einen herein prasselt und einem beinahe das Herz zerfetzt. Das erste was er roch war der See, das erste was er hörte waren die Möwen. Er drehte sich dahin um und sah ihn still vor sich legen. Mit der Gewissheit, dass irgendwo auf seinem Grund ein kleines Mädchen lag dass er wahnsinnig gern hatte.
    Er bekam rasende Kopfschmerzen. Neben ihm

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