Per Anhalter (German Edition)
haben.“,
„Och Lasse“ stöhnte sie entnervt, und dies war der Anfang ihrer „Wir-müssen-den-Gürtel-enger-schnallen-Litanei“. Und es gab tatsächlich keine Bifi-Wurst für ihn. Keine Bifi-Wurst aber auch sonst nichts. Sie erklärte lediglich, dass Papa sie beklaut hätte, sie beide den Gürtel fortan etwas enger schnallen müssten und fertig war sie damit. Dann kümmerte sie sich wieder um ihr Handy und schob sich die nächste Zigarette in den Mund. Sie rauchte so stetig, wie andere Leute in eine Schüssel mit Chips griffen… Und kurz darauf kam sie unvermittelt auf ihn zu und forderte ihn auf, den Platz zu räumen und sich auf den Beifahrersitz zu setzen.
„Wir fahren jetzt erstmal los“ erklärte sie.
„Ich hab echt Hunger…“ fing er nach einer Weile an zu quengeln. Er tat dies nur, weil er in der Tat echt Hunger hatte. Sein Magen fühlte sich wie ausgepumpt an und knurrte unentwegt. „Es ist grade mal kurz nach sechs“ erklärte sie ihm (nicht dass Lasse überhaupt je ein ernst zu nehmendes Verständnis von Uhrzeit gehabt hätte), „Lass mich bitte erstmal nachdenken, okay?“ – Okay, das tat er. So schwer es ihm auch fiel. Inzwischen war sie wieder angezogen und jetzt, da sie unterwegs waren, wirkte sie auch nicht mehr ganz so bleich wie zuvor.
Das, was sie sich da ins Gesicht hatte, war definitiv keine Kacke. Es stank nämlich nicht, sondern roch eher ziemlich gut. Sie hatte sich ein langes gestreiftes T-Shirt übergeworfen und einen Slip angezogen. An den Füßen und an den Beinen war sie noch immer nackt. Einen kurzen Augenblick lang verspürte er den unbändigen Drang danach, sie anfassen zu dürfen… Oder mit ihr im See baden zu gehen… Doch wenn er dann auf diese Haare guckte… Oder auf die bröseligen Klumpen dieses zwar wohl riechenden aber extrem beknackt aussehenden Matsches, dann war dieser Drang sofort wieder vorbei. Ihr Gesicht sah nicht nur wie mit Kacke beschmiert aus – es wirkte auf unheilvolle Weise furchteinflößend. Sie hatte es geschafft, dass ihre Haare in alle Richtungen standen und aussahen wie spitze, klebrige Stacheln. Vereinzelt hingen einige lange Haare dazwischen oder pappten an ihrem Hals, vermischt mit der sonderbaren braunen Pampe. Als sie auf der Autobahn waren, bemerkte Lasse, dass sie den Daumen und den kleinen Finger ihrer rechten Hand gespreizt hatte, während die anderen drei Finger auf ihrer Handfläche lagen. Sie hämmerte ohne Unterlass mit dem kleinen Finger gegen den Schaltknüppel.
Als nächstes fiel ihm auf, dass sie einerseits extrem konzentriert und andererseits total weggetreten wirkte. Er studierte sie ausgesprochen unverhohlen. Sie nahm eh nichts davon wahr. Zumindest so lange nicht, bis sie schlagartig ihren Kopf zur Seite drehte und ihn ansah. Dabei zuckte ihr Kopf wieder so komisch, wie gestern, als sie sagte, dass Davids Strafe qualvoll gewesen sei. So als ob sie ein extrem heftiger Stromstoß durchfuhr. Anstatt zu fragen, was los sei oder was er von ihr wollte, fing sie einfach an zu reden. Fast so, als hätte er eine Münze in sie hinein gesteckt. Wie ein Roboter. Und (es mochte Einbildung sein) er fand auch, dass sie irgendwie blechern und mechanisch klang als sie sagte: „Wir müssen den Gürtel jetzt echt erstmal ein bisschen enger schnallen, jetzt wo dein Vater uns beklaut hat. Die ganzen Reserven hat er mitgenommen.“ Sie griff nach ihren Zigaretten und steckte sich eine in den Mund, aus dem sie schlaff heraus hing. Mit ihren zitternden Händen kriegte sie kaum eine Flamme aus dem Feuerzeug. „Ist okay, Mutti!“ sagte Lasse, betont einfühlsam, was aber auch nichts änderte. Er hatte jetzt auf einmal das Bedürfnis ihr zu signalisieren, dass er zu ihr hielt. Okay, sie hatte wirklich Mist gebaut mit Vivi, aber sie war seine Mama… Und das, was Papa gemacht hatte… und das Uwe gestorben war… Das war wirklich ganz, ganz schlimm. Und er hatte seine Mama ja lieb, egal wie komisch sie war. Auch wenn sie ihm ein bisschen Angst machte. Ein bisschen… Oder eher ziemlich viel .
Sie nickte. Und schien gar nicht mehr damit aufhören zu wollen. Sie nickte und nickte und nickte. Dann quollen plötzlich Tränen aus ihren Augen und bildeten weiße Schlieren in dem Matsch auf ihrem Gesicht.
Kurze Zeit später klingelte ihr Telefon und sie hielt auf dem nächsten Rastplatz an um zurückzurufen. Sie stieg aus dem Auto aus um zu telefonieren, was Lasse ziemlich komisch vorkam. Sie telefonierte, kam wieder und setzte die Fahrt
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