Per Anhalter (German Edition)
nicht mitnehmen wollt“, sagte David trotzig, „dann lasst mich doch raus!“ Das war sein Ernst. In diesem Augenblick dachte er gar nicht an Lena oder an sonst irgendwen. Er war einfach nur wütend und fühlte sich mies behandelt. Er hatte es nicht nötig, mit dieser gestörten Familie mitzufahren. Einer hier war schlimmer als der andere. Niemand antwortete ihm. Es war, als ließe Britta die Worte erst einmal im Raum stehen, als müsse sie erst einmal eingehend darüber nachdenken. In dieser Zeit überspülte David eine Woge aus Scham. Aber warum? Die amorphe Schweinebacke hatte schließlich damit begonnen, seine unqualifizierte geistige Diarrhö zu verspritzen, und nicht er. Na, was ist? Nun fällt Euch dazu nichts mehr ein, oder wie? Hinten stellte Lasse seinen Game Boy wieder an. Seine kleine Schwester weinte, doch noch immer schien es außerhalb jeder Zuständigkeit für alle Beteiligten zu liegen, die kleine Maus zu trösten. Die wohlvertrauten Klänge von Donkey Kong ertönten wieder und aus der Windschutzscheibe erkannte er ein Schild mit der Aufschrift Schleswig Schuby. Er wusste, das Schleswig und Flensburg nicht besonders weit voneinander entfernt waren. Außerdem eroberte Lena seine Gedanken zurück. Wenn ich da bin, muss ich ihr unbedingt von dieser Fahrt erzählen , dachte David, der unterdessen beobachtete, wie Britta eine weitere Zigarette aus der Packung entnahm und diese anzündete. Warum auch immer sie es jetzt tat und vorhin nicht – sie öffnete das Fenster und blies den Rauch dort heraus. Sie war genau wie zu Beginn der Fahrt: Kalt und reserviert. „Hamm wir einglich auch noch andere Spiele mit, Mommor?“ quengelte Lasse von hinten. David wunderte sich längst nicht mehr darüber. Das Thema Homo und Co. war für die beiden offenbar stillschweigend ad acta gelegt. Wie hatte Britta sich so schön ausgedrückt? Das hier ist mein Auto und das meiner Kinder, und hier wird über das geredet, über was wir reden wollen . „Mommor?“ nervte Lasse weiter, doch Britta sagte noch immer nichts. Offensichtlich aus genau diesem Grund, hatte auch das Baby mittlerweile seine Bemühungen eingestellt, auf seine wie auch immer gearteten Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Lediglich ein leises Glucksen war von Zeit zu Zeit noch zu hören.
„Mom-maaa?“, „
WAS?“ keifte sie ihn an. „Hamm wir noch andre Spiele für äh, Gehmboy mit? Weil ich hab jetzt schon fast das hier durch!“ Aaaargh, wie der redet , ey… Die beiden, Mutter und Sohn, waren wirklich Phänomene. Lasse hörte sich schon wieder an wie ein Kleinkind, obwohl er 10 Minuten zuvor definitiv noch wie ein geistig labiler 16-Jähriger geklungen hatte…
Wie immer man das auch nannte, aber ganz bestimmt hatte er sich nicht so angehört, wie er sich jetzt wieder anhörte. Und ebenso phänomenal war seine Mutter. Im einen Moment, und dieser lag ebenfalls keine 10 Minuten zurück, warf sie sich schützend vor ihren Sohn, motzte hier rum wie `ne Blöde und jetzt war sie offenbar so tief in ihre Gedanken vertieft, dass sie eine völlig andere Person geworden war. Wieder einmal! Britta hatte während der Zeit, in der David sie kannte, bereits so viele unterschiedliche Facetten gezeigt, dass man ihr eine mephistophelische Mannigfaltigkeit nicht mehr absprechen konnte. Keine dieser Facetten war formvollendet, freundlich oder auch nur ehrlich. Nein, noch nicht einmal ernst zu nehmen waren sie. Aber das war nicht gerade sonderlich ermutigend. Sie drehte ihren Kopf zur Seite und dieses Mal schnauzte sie Lasse an: „Das weiß ich doch nicht! Was interessiert mich dein verkackter Game Boy?“,
„Mh!“ machte Lasse,
„Du siehst doch, dass ich am Fahren bin, oder? Kannst du mir nicht einfach mal nicht auf den Sack gehen, oder was?“,
„Mh!“ – Und dann drehte sie sich wieder um. Sie hatte die Lippen geschürzt, eine Haarsträhne hing ihr übers Gesicht. Allmählich wich Davids Wut aus den Adern, die zuvor jede Faser seines Körpers überschwemmt hatte. Ein Wechselbad der Gefühle. Freude, Unwohlsein, Hoffnung, Vorfreude, Wut, Angst, Panik, Verzweiflung . All das hatte David jetzt schon erlebt. All das… Und er war noch nicht einmal ganz eine Stunde mit diesen Leuten unterwegs. „Ich kotzhiergleich ab!“ spie Britta, knallte die Faust gegen die Tür und warf ihre halb aufgerauchte Zigarette aus dem Fenster. Beim Fluchen flogen Speichelperlen aus ihrem Mund, die wie Staub aussahen, als sie von der Sonne durchschienen wurden. Sie kurbelte
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