Per Anhalter (German Edition)
jedenfalls innbrünstig und begann zu wimmern.
„Äärg. Ääääärg. Aaaahaaaaa“ – Es war ein Geräusch, bei dem sich Lolles gesamtes Innenleben zusammenzog. Mit einer neuen Kanne voll rostigem Wasser lief er zurück.
Und wieder schleifte sich der Junge vorwärts, in dem er seine Hände gegen die Wand drückte und seinen zerstörten Körper wie ein Wurm bäuchlings vorantrieb.
Auch wenn das Wasser rostig und abgestanden ist, man geht davon nicht tot! dachte Lolle wieder, ging in die Hocke und übergoss David wiederholt mit einer Ladung Wasser.
„Mach den Mund auf, David. David ist doch dein Name, oder? Das ist nur Wasser, wirklich. Ich helf dir hier raus, versprochen.“ Er hatte keine Ahnung, ob der Junge ihn überhaupt verstand, aber er sah bereits, ob´s Einbildung war oder nicht, deutlich klarer aus als noch vor der Dusche. Das Wasser lief ihm über die Lippen.
Lolle half nach, indem er David am Kinn packte und es ein Stück herunter zog, so dass er ihm das Wasser direkt in den Mund gießen konnte. Ein beißender Geruch kam aus der Mundhöhle. Sie roch säuerlich nach Erbrochenem und nach trockenem Hals. Der Junge hatte offenbar schon seit Tagen weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich genommen. Seine Zähne waren mit einer grün-gelben Schicht belegt, seine Zunge weiß und vertrocknet.
Jetzt ließ er das Wasser in den Mund laufen, hob Davids Kopf an, damit er vernünftig schlucken konnte – und der Reflex zum Schlucken setzte ein.
Lolle ließ noch einen weiteren Schluck in seinen Mund hinein laufen und endlich trank er mit gesunder Gier. Aber was sollte er nun mit ihm machen? Er konnte ihn ja schlecht hier liegen lassen. Noch irrsinniger war es, einen Krankenwagen nach hier draußen zu beordern. Das würde nämlich die Polizei wieder auf den Plan rufen.
Ich bring ihn gleich in das Auto und fahr ihn ins Krankenhaus. Aber da war noch etwas: Eigentlich wollte Lolle überhaupt nicht mit diesem Jungen in Verbindung gebracht werden. Wenn er ihn ins Krankenhaus brachte, würde sich zwangsläufig die Frage stellen, wo er den Jungen denn gefunden hatte. Andererseits, sollte er ihn im Stich lassen, ihn irgendwo aussetzen und darauf hoffen, dass irgendein anderer ihn ins Krankenhaus brachte?
Und wer macht hier den ganzen Schweinkram hier sauber? Wenn Britta der Polizei von der Hütte erzählt… Und der Junge ist nicht mehr da… Wenn sie das Blut finden… Und Spuren von mir… Seine Gedanken wurden unterbrochen, weil David erneut heftig stöhnte und sich auch noch übergab.
„SCHEISSE!“
Wenn er nicht wollte, dass dieser arme Junge vor seinen Augen jämmerlich verreckte, musste er sofort handeln. Es gab keine Zeit mehr zu verlieren. Jede Sekunde die ins Land ging war eine zu viel. Er fasste sich ein Herz.
Ich bringe ihn ins Krankenhaus! Vielleicht fällt mir unterwegs ja noch was ein. Irgendjemand muss diese Wunden richtig behandeln... Das ganze Gift muss aus seinem Körper. Er braucht Medikamente, einen Arzt. Und zwar sofort!
Aber zunächst musste er hier noch was erledigen. Ganz schnell – Es ging um Spuren die etwaig erscheinende Ermittler hier finden konnten, und zwar in erster Linie um den Angelschein.
Mit einem hammerharten Tritt zerstörte er die Wohnzimmertür.
Sie war so morsch und von Schimmel befallen, dass sie geradezu explosionsartig auseinander flog. Ihm schlug ein Geruch von modernder Fäulnis entgegen. Er machte das Licht an und sah das zerstörte Fenster, das Bett in der Mitte des Raumes... Und die Plastiktüte unter dem Bett, auch die bemerkte er sofort. Es war eine uralte Tüte der Supermarktkette Plus mit der Aufschrift Prima leben und sparen , und zwei sich küssende Frösche waren darauf abgebildet... Und zwei blutige, halb verweste Füße lugten daraus hervor.
Sie war es! Britta war das! Darum hat er die Tür nicht eingetreten, nur deshalb. Weil er nicht konnte , verdammt noch mal. Er muss durch das Fenster raus... Oh, dieser Gestank . Es war kaum auszuhalten. Verwesung, alte Pisse und Schimmel vereint.
Lolle war so mit den Nerven zu Fuß, dass er einen Schrei des Entsetzens nicht unterdrücken konnte. Ein Schauer kroch vor Abscheu durch ihn hindurch und er begann zu würgen.
Was für ein Verbrechen. Was für ein kaltes, grausames Verbrechen!
Kapitel 18
03:35 leuchteten die roten Zahlen des Radioweckers. Nadja sah sie verschwommen im Halbschlaf. Irgendwo summte etwas… Und Mama sprang auf einmal aus dem Bett, als wäre sie auf der Flucht vor einer Spinne
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