Per Anhalter (German Edition)
Augenblick war es ihr egal. Ihretwegen konnte Oma sich ruhig einen Schluck gönnen. Sie fühlte sich betäubt von einer fast unheimlichen Gelassenheit.
Der Teufel war in ihre Kinderseele eingedrungen und hatte sie vorwärts und rückwärts durch die Hölle geschleift. Das Böse hatte sich wie ein Blutegel in sie festgebissen und vorgehabt, ihre Kindheit aufzufressen. Und fast... fast hätte das Böse gewonnen.
Doch jetzt hatte sie das Böse besiegt. Und es tat so unfassbar gut, sich ohne Kummer sondern mit Zuversicht und Wärme im Bauch hinzulegen und zu wissen, dass alles wieder gut werden würde. Es war noch zu viel, noch zu sehr ein Taumel, als dass sie die Tragweite der nächtlichen Nachricht wirklich hätte begreifen können!
Vorher hatte sie dies Gefühl der Gelassenheit und Sorglosigkeit immer als Selbstverständlich erachtet. Aber das war es nicht. Nichts war wichtiger als ruhig einschlafen zu können und zu wissen, dass die Familie da war. Ohne das auch nur einer fehlte.
Es wird alles wieder gut! Sie drückte ihren Kopf ganz fest ins Kissen und atmete den Geruch ihrer Mutter ein.
David ist wieder da und alles wird wieder gut.
Sie sah sich, wie sie ihrem über alles geliebten großen Bruder um den Hals fiel, wie sie ihn küsste und wie er sich zu ihr ins Zimmer setzte und ihr alles erzählte, was er erlebt hatte. Sie würde mit ihm meckern, ganz klar. Das hatte er auch wirklich verdient. Sie wusste sogar schon ganz genau, was sie zu ihm sagen würde. Er sollte ruhig wissen, wie sehr er sie und Mama und Oma und Opa hatte leiden lassen. Aber er sollte genau so spüren und wissen, wie sehr sie ihn liebte und wie froh sie war, dass er nach Hause gekommen war.
Sie hatte mal wieder richtig Lust darauf, mit ihm zusammen Milchreis zu kochen. Ein regnerischer Nachmittag, eine von diesen uralten Sitcoms wie zum Beispiel „Alf“ oder „Eine schrecklich nette Familie“ im Fernsehen, ein leckerer Kakao dazu... So wie damals. Das war ein wunderschöner Gedanke, und sie konnte es kaum noch erwarten.
Sie gingen zusammen zum Kiosk, und er spendierte ihr eine Tüte Süßigkeiten und eine Dose Fanta dazu. Irgendwie schmeckte alles viel besser wenn man es sich selbst am Kiosk kaufte. Ihr wurde warm im Bauch und ihr ganzer Körper wurde von einem inwendigen Hochgefühl dominiert. Sie lag noch eine Weile wach. Anscheinend rauchte ihre Oma doch mehr als nur eine Zigarette. Aber sie war da. Und bald würden alle wieder da sein.
Als sie schon glaubte, viel zu aufgeregt zu sein um wieder einschlafen zu können, fiel sie doch noch ins Land der zuckersüßen Träume. Und das war gut so. Denn sie ahnte ja nicht, dass es ihren geliebten großen Bruder gar nicht mehr gab. Zumindest nicht auf die Weise, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Sie ahnte nicht, was ihr noch für ein Schrecken bevorstand. Ihnen allen. Es sollte für lange Zeit die letzte Nacht bleiben, in der sie in Frieden schlafen konnte. Für sehr, sehr lange Zeit!
***
Auszug eines Artikels einer großen deutschen Tageszeitung, die ein Foto der Verhaftung von Nadine Bennecke auf Seite 1 präsentierte.
Mord, Kindesentführung und satanistische Rituale
HIER FÜHREN POLIZISTEN GERADE EIN MONSTER AB
Kiel Sie trägt ihre Haare offen, fast schon keck, und ihr schlanker Körper steckt in einer engen Hotpan Jeans und einem weißen paillettenbestickten Top. Sie sieht aus wie die hübsche Nachbarin von nebenan, ein bisschen stark geschminkt, aber ansonsten wie eine ganz normale Frau, die einfach nur eine Pause auf dem Rastplatz eingelegt hat. Doch hinter der hübschen Fassade soll sich die schwarze Seele eines diabolischen Monstrums verbergen.
Ihren Namen? Sie nennt ihn der Polizei nicht. Was sie vorhatte? Man kann es nur erahnen. Wenn die Ermittlungen der Polizei korrekt sind, soll diese Frau mithilfe von Komplizen den Polizistenmord von Mohrbüll begangen haben, oder zumindest beteiligt gewesen sein. Außerdem wird ihr vorgeworfen, einen 16-Jährigen Jungen aus Rendsburg entführt zu haben, der per Anhalter zu seiner Internetbekanntschaft nach Flensburg fahren wollte (wir berichteten). Laut Polizei nur die Spitze des Eisberges. Nach bisherigem Ermittlungsstand, könnte die freundliche Nachbarin von nebenan für rund ein Dutzend mutmaßlicher Gewaltverbrechen verantwortlich sein, die bis in die frühen neunziger Jahre zurückreichen.
„Die Vorgehensweise sowie die Hinweise aus der Bevölkerung sprechen eine deutliche Sprache“, erklärt
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