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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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und lächelte.
    Oma saß kniend vor dem Stubentisch und führte sich ihr Glas Apfelkorn an den Mund. In der anderen Hand hielt sie eine Zigarette. Aus dem Radio (ein großer silberner Kasten an den zwei große silberne Lautsprecherboxen angeschlossen waren) spielte leise Schlagermusik.
    Ihr fielen in diesem Moment die Fotos auf. Das Hochzeitsbild von Oma und Opa stand noch da… Ein einzelnes Bild von ihrem Opa. Ein Bild von Mama mittendrin sowie eines von ihr, als sie noch ein kleines Baby war. Sie versuchte sich darauf zu konzentrieren. Und auf die Musik. Conny Francis sang. Sie mochte Conny Francis sehr. Aber sie konnte sich nicht allzu lange darauf konzentrieren.
    „Dir ist ja bestimmt schon aufgefallen, dass deine Oma und ich uns sehr lieb haben, nicht wahr?“ fragte Klaus. In der Tat, ja. Das war ihr leider schon aufgefallen. Sie nickte mit zusammengekniffenen Lippen. Der Mann mit dem spitzen Gesicht lächelte verschmitzt, wie sie aus den Augenwinkeln heraus sah.
    „Und wie findest du das, mein Mädchen? Findest du es schön, oder... findest du es eher nicht so schön?“ Sie brauchte über  die Antwort nicht eine Sekunde lang nachzudenken. Und irgendwie glaubte sie, Klaus kannte sie auch. Sie zuckte mit den Schultern, wusste jedoch sofort, dass dies nicht das war, was Klaus wollte.
    „Schön“, sprach sie leise. Klaus hielt seine Nase an ihr linkes Ohr und seine Hand knete ihre rechte Schulter fest.
    „Wie bitte?“ fragte er leise in ihr Ohr.
    „Schön finde ich das“ sagte sie nun deutlich, obwohl sie es in Wahrheit schrecklich fand, und in diesem Augenblick sogar schrecklicher als sie jemals zuvor etwas schrecklich fand.
    „Ja, es ist schön, nicht wahr? Oma und ich finden es auch sehr schön. Aber... Ist dir eigentlich auch klar, dass ich dadurch, dass deine Oma und ich uns lieben…“ Er hielt inne, ließ von ihrer Schulter ab und nippte von seinem Glas mit der braunen Flüssigkeit. Dann räusperte er sich. Sie sah ihn in diesem Moment sehr genau an. Mit einer nicht zu beschreibenden, fundamentalen Anspannung. Ihr Magen fühlte sich an, als stünde er kurz vor der Detonation.
    „Also ich sag´s mal so“ begann Klaus. „Dadurch, dass deine Oma und ich uns lieben… Dadurch bin ich ja dann auch dein Opa, stimmts? Weil der Mann, der mit deiner Oma zusammen ist, ist nun mal automatisch dein Opa.“
    Das stimmte nicht! Es war gelogen. Sie war sieben Jahre alt, aber sie war keineswegs beschränkt im Kopf. Was Klaus da von sich gab, war schlichtweg falsch . Sie wollte aufbegehren, Zweifel äußern… Und ihre Lunge füllte sich mit genügend Sauerstoff, um lautstark eine Antwort zu entgegnen… Eine passende Antwort um genau zu sein.
    Wenn sie wusste, dass sie im Recht war, hatte sie damals schon die Angewohnheit, sich regelrecht aufzuplustern, wie ein Vogel der sein Gefieder zeigt.
    Und sie war kein scheues Kind muss man dazu sagen.
    Sie war – bislang – ein sehr lebhaftes Kind, trotz allem was ihr widerfahren war. Sie war selbstbewusst, ehrlich, quirlig und fröhlich. Und sie hatte keine Angst davor, ihre Meinung zu sagen.
    Doch jetzt sah sie Klaus an, und wusste, dass es keine gute Idee war, ihm die Wahrheit zu sagen. Fürwahr, Klaus lächelte in diesem Augenblick. Er lächelte und führte sich das Glas mit der braunen Flüssigkeit an den Mund. Aber da waren ja noch seine Augen. Und sie würde diesen Blick nie in ihrem ganzen Leben wieder aus dem Kopf bekommen. Es war der Blick eines Killers. Es waren Augen die auf stumme Weise die Mitteilung verkündeten: Überleg dir gut was du sagst. Denk jetzt lieber noch mal kurz nach bevor du sprichst.
    Das kleine Mädchen hatte zuvor nie schlechte Erfahrungen mit Erwachsenen gemacht, und brauchte trotzdem nur in diese Augen zu gucken um sicher zu sein, dass sie, obwohl sie im Recht war, besser die Klappe zu halten und sich unterzuordnen hatte. Also stimmte sie widerwillig zu, und zwar indem sie nickte.
    „Das ist guuut“ meinte Klaus. „Das ist wirklich sehr gut dass du das weißt. Und weißt du was? Ich nehme dir ja auch nichts weg, verstehst du? Der Mann, der eigentlich dein Opa war, ist ja schon gestorben, nicht wahr. Ich nehme ihn dir ja nicht weg. Und ich nehme auch Oma nichts weg. Im Gegenteil, weißt du, ich komme dazu . Ich bestehle euch beide nicht, ich bereichere euch.“
    Wieder hielt er einen Moment lang inne.
    Connie Francis hatte aufgehört zu singen und stattdessen spielte Drafi Deutscher im Radio. Ihre Mutter hatte Drafi Deutscher

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