Per Anhalter (German Edition)
nach Apfelkorn.
Kling!
Klaus schlief nun manchmal mit bei Oma im Bett. Und sie lagen viel im Bett, sogar am Tag. Und Klaus, der eigentlich nie mit ihr redete, sagte jetzt auf einmal immer: „Geh auf dein Zimmer! Hau ab!“ wenn sie in der offenen Zimmertür stand und nur Omas Füße sah, die aus dem Bett guckten.
Klaus wollte ihr ihre Oma wegnehmen!
Obwohl sie ihren richtigen Opa nie wirklich kennengelernt hatte, lag sie oft in ihrem Bett und stellte sich vor, wie er sanftmütig lächelnd dort an seinem Schreibtisch saß. An dem Schreibtisch mit den zwei Buddeln, in denen je ein Schiff steckte. Als Oma noch Oma war hatte sie ihr erzählt, das Opa die gebastelt hatte, und das Opa sehr viele solcher Schiffe gebastelt hatte… Dass Opa überhaupt immer sehr viel bastelte, als er noch am Leben war.
Zum Beispiel auch das Bett in dem sie schlief. Auch das hatte Opa gebastelt. Opa war immer sehr lieb. So hatte sie ihn in Erinnerung. Und manchmal sah sie ihn da sitzen und redete mit ihm. „Kannst du nicht machen, dass Klaus aufhört Oma zu küssen?“
Opa versprach, dass er das machen wollte. Aber er hatte gelogen… Klaus ging nicht mehr weg.
Da war Dunkelheit… und die Zimmertür ging auf…
Bennecke rollte auf der Pritsche und starrte die Wand an. Jemand hatte dort Zeichen herein geritzt. Und einen Judenstern. Und ein Hakenkreuz. Etwas weiter oben stand in gezackten Buchstaben das Wort FOTZE . Stimmen hallten durch die Flure draußen. Und eine Tür fiel ins Schloss…
FOTZE – sie fixierte das Wort auf der Wand, bis es vor ihren Augen verschwamm.
Sie konnte sich nicht mehr von der Vergangenheit lösen, seit diese Hure sie daran erinnert hatte.
„Nadine“, es war ihre Oma die da in der Zimmertür stand.
„Nadine“, wiederholte sie.
„Ja“ antwortete sie in verwirrter Schlaftrunkenheit.
„Kommst du bitte mal?“ Finstere Furcht stieg in ihr hoch. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund schwante ihr Böses.
„Warum denn?“ Ihre Oma schaltete das Licht an. Sie stand nur mit einem blauen Slip bekleidet in der Tür.
„Weil ich es dir sage. Kommst du bitte!“ Unerbittlich war ihre Oma immer schon gewesen. Sie hasste Diskussionen, Gegenfragen und Widerworte. Also kletterte sie aus dem Bett. Ihre Oma verzog die Lippen zu einem schmalen grinsenden Streifen, streckte die Hand aus und führte sie ins Wohnzimmer. Dort saß Klaus. Lächelnd! Das erste Mal überhaupt dass sie ihn lächeln sah. Er war mit einem weißen Bademantel bekleidet. Doch noch jemand hockte im Wohnzimmer. Ein Mann mit einem spitzen Gesicht, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, und der nur über die Schulter schaute und ihr zunickte. Eine gewaltige Menge schwarzer Kerzen brannte. Sie waren überall. Auf dem Tisch, in den Kerzenhaltern an der Wand und sogar auf dem Fußboden. Dort lagen als liebloser Haufen auch Omas restliche Kleider.
Klaus nippte an seinem braunen Getränk. Ihre Oma drängte sie mit einer Hand auf dem Rücken nach vorn.
„Geh vorwärts, Mädchen“ sagte sie. Wohin war nicht schwer zu erraten, denn nun war es Klaus der ihr, noch immer lächelnd, die ausgestreckte Hand hin hielt. Das war noch bevor er sie regelmäßig Dirne nannte. Dirne und Schlampe, das waren seine beiden Lieblingsbezeichnungen für sie. Es war die Nacht, in der sie anfing, ein für allemal abzustumpfen. Es war der Beginn eines jahrelangen Martyriums.
„Setz dich zu mir hin mein Spatz“ waren die Worte die er in jener Nacht gebrauchte. Und jene Nacht war keineswegs ausradiert aus ihrem Kopf. Jene Nacht war klar vor ihrem geistigen Auge. Nicht einmal Staub hatte die Erinnerung angesetzt.
Klaus´ Atem roch nach Alkohol und Zigarrenrauch. Sie hatte den Geruch sogar jetzt in der Nase... Und sie sah ihr gelbes T-Shirt mit dem Biene Maja Aufdruck vor sich, und ihre dünnen, nackten Beine, die winzigen, leicht gekrümmten Zehen, die sich in den flauschigen Teppich gruben. Plötzlich legte Klaus seinen Arm um sie und zog sie an sich heran, so dass sie seine Bartstoppeln auf ihrem Gesicht spüren und seinen penetrant sauren Atem nicht nur riechen sondern sogar fühlen konnte. Ein nicht unangenehm riechendes, sehr wohl aber latent aufdringliches Rasierwasser machte die Melange perfekt.
„Geht’s dir gut mein Spatz?“, fragte er. Sie nickte und brachte ein m-hm heraus. Aber das war gelogen. In diesem Augenblick ging es ihr alles andere als gut. Sie schaute auf den Mann mit dem spitzen Gesicht. Der hob den Kopf, zwinkerte ihr zu
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