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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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Metapher dafür herhalten.
    Aber er selbst sah das gar nicht als primär an. Es war eher… schwer zu beschreiben…
    Angenommen er wäre das Gemälde eines großen Künstlers wie Leonardo da Vinci oder Vincent Van Gogh, und irgend so ein gestörter Trottel war ins Museum eingedrungen und hatte – nur so zum Spaß – eine Sonne mit Gesicht auf den Blick über Arles oder einen Schnurrbart über Mona Lisas Lächeln geklebt. Nur drauf geklebt, nicht gekritzelt. Man nahm es ab und das Bild war eigentlich wieder im Originalzustand da… Und doch war es angegrabbelt worden… Irgendetwas hatte sich doch daran verändert. Der Geist war plötzlich verschwunden. Wie sollte er es sich anders erklären? Er war ein Individuum, das Produkt seiner Mutter. Doch diese Monster hatten kurzweilig Besitz von ihm ergriffen, hatten seiner Mutter ihr Werk gestohlen… Und auch wenn er jetzt wieder da war, blieb doch ein nicht direkt wahrnehmbarer, pestillenzartiger Geruch zurück. Er steckte unter seiner Haut und war nicht auswaschbar. Ihre Fingerabdrücke klebten noch auf ihm…Ein Teil von ihnen hatte ihn geprägt und lebte in ihm als unabdingbare Veränderung weiter. Wann immer sie ihn in den Arm nahm, würde diese Veränderung spürbar bleiben, vollkommen unabhängig davon, ob er nun Beine hatte oder nicht. Wann immer sie ihn nur ansah , würde sie auch das Andere sehen. Er blieb ihr Sohn, aber er war verändert. Er war nicht mehr allein ihrer und deshalb für sie auch nicht mehr auf die Art liebenswert wie zuvor.
    Müßig sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
    Niemand hatte David diesen Floh ins Ohr gesetzt. Es war einfach so! Es erklärte sich für ihn von selbst.
    Selbst wenn er mit Beinen am Körper zurückgekehrt wäre, wäre diese unüberwindbare Brücke da gewesen.
    Zumindest sah er das so. Und warum? Weil es für ihn selbst genau so war.
    Es gab ein früheres und ein jetziges Leben. Er war die Reinkarnation seiner selbst, eine Kopie mit Fehlern. Als solche sah er sich.
    Sogar die Gefühle für seine eigene Familie waren nichts weiter als eine Kopie .
    Vielleicht lag es daran, dass er eigentlich nicht mehr hätte da sein sollen.
    Weil er längst abgeschlossen hatte.
    Alles fühlte sich so halbgar und unwirklich an, so konserviert irgendwie.
    Er hatte die letzten Monate ganz woanders verbracht, eingeschlossen, isoliert von der Wirklichkeit, und jetzt wurde er plötzlich wieder in die alte Welt hineingeworfen.
    Er war in einen unvorstellbar tiefen Abgrund geraten, den es eigentlich nicht geben durfte und von dessen Existenz er überhaupt nicht ahnte. Natürlich hatte er gewusst, wie gefährlich das Mitfahren mit einem Anhalter sein konnte. Er hatte darüber gelesen, davon gehört oder mal in den Nachrichten einen Bericht gesehen von einem Mädchen irgendwo …
    Aber diese Realität war nicht seine. Vorher zumindest. Jetzt schon.
    Aber wie sollte er mit dem Wissen über diese Realität, mit dem Brandmahl dass die Realität ihm zugefügt hatte, weiterleben?
    Und auch die anderen um ihn herum. Seine Mutter, seine Schwester, Oma und Opa… Die Leute aus der Schule, die vielleicht davon gehört hatten… Oder auch nicht, und die ihn irgendwann plötzlich ohne Beine im Rollstuhl sitzen sahen und…
    Ach, da war so viel. So viel, das einfach nicht sein konnte , was alles je vorstellbare übertraf.
    Er wollte keinem seiner alten Kumpel aus der Schule erklären müssen, weswegen er jetzt im Rollstuhl saß und keine Beine mehr hatte.
    Er wollte auch nicht – niemals – ins Einkaufzentrum in den Media Markt rollen und sich nach Videospielen umsehen. Er wollte auch nicht bemitleidet werden. Er wollte nicht von der Freundin seiner Schwester auf diese komische Art angeglotzt werden. Und er wollte keinem Scheißbullen irgendeine Auskunft geben. Und hier im Zimmer sein wollte er nicht… Nein, er wollte gar nichts von  alledem. Er wollte überhaupt nicht mehr hier sein .
     
    Komm runter, Alter… Komm einfach mal runter sagte er zu sich selbst. Doch das kam nicht einmal an. Es war wie eine Stimme aus einem im Hintergrund laufenden Fernseher kurz bevor man einschlief.
     
    Ein unschön flätig aussehendes, auf dem Fußboden liegendes Blatt Papier, erregte seine Aufmerksamkeit. Er hob es auf und faltete es auseinander.
    Es war ein Bild von Lena.
    Die Fotze , wie seine Mutter sie nannte.
    Er hatte es ausgedruckt um es mit ins Bett zu nehmen, dies jedoch nie getan.
    Aber er hatte es ernsthaft vor.
    Wie verrückt er nach ihr gewesen war. Wie

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