Per Anhalter (German Edition)
ihr bewusst ins Gesicht. Sie erwiderte seinen Blick. Ihr kurzes Schmunzeln und das anschließende Fortgehen, hinterließen wieder einen kalten Abdruck in ihm. Es war wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Dem Blick seiner Mutter wohnten tausende und abertausende von Vorwürfen inne. Und sie schien sich genau so befangen und elendig zu fühlen wie er.
Es hatte so gut getan ihre weiche Hand auf der Stirn zu fühlen als er wach wurde. Da wurde ihm überhaupt erst wieder bewusst, wie sehr er seine Mutter brauchte und liebte .
Er wünschte sich, dass sie innehielt, ihm sagte, er solle sich einfach aufs Sofa legen… Sie brachte ihm eine Wolldecke, einen heißen Kakao, ein extra dickes, flauschiges Kissen, und setzte sich zu ihm. So wie früher wenn er krank war…
Doch stattdessen marschierte sie in die Küche zurück ohne ein Wort zu sagen.
Die Frage was er jetzt tun sollte – jetzt, später, die nächsten zehn, zwanzig Jahre – war noch immer unbeantwortet.
Was für eine ungeheure Tristesse dieser Raum, in dem er so viele Jahre seines Lebens verbracht hatte, auf ihn ausübte. Er hatte das Gefühl, als müsste er hier drinnen ersticken.
Und da hatte er eine erste Idee! Er rollte auf das Fenster zu, beugte sich vornüber und erreichte mit letzter Kraft tatsächlich den Fenstergriff. Er drehte ihn in die mittlere Position, so dass das Fenster ganz aufging. Erstmal Luft in diese abgestandene Muffbude bringen.
Aber selbst die abgestandene Luft führte ihn schlagartig zurück zu jenem Morgen im August:
Die Luft steht hier schon seit Monaten drin. Ich habe genau die Luft schon einmal geatmet. Damals hatte ich noch Beine… Und ich hatte es sehr eilig als ich morgens aufwachte um loszufahren.
NEIN! Daran wollte er nicht denken. Er hasste es daran zu denken.
Er hasste jeden einzelnen Gedanken daran.
Er hasste den Geruch von LKW-Diesel – Der Geruch von LKW-Diesel war der Anblick von Gesichtern dicker Männer in hohen Trucks, die an einem vorüberfuhren.
ACE-Saft war der Geruch von hohem Gras und brandheißem Asphalt an einem Sommermorgen… War das Gefühl von Schweiß auf dem Rücken… Unter einem klatschnassen T-Shirt. Der Computer war Lena… Sie war darin… Die Luft hier im Zimmer war die Luft vom August…
„Ich bin Britta!“ Ihre Hand – er griff danach. „David!“
Britta… Britta…
Ich bin Britta!
„Du brauchst dich nicht zu fürchten, ich beiße nicht! Du bist ein sehr unruhiger Geist, David“
Ihre Augen… Brittas Augen. Magneten…
Du brauchst dich nicht zu fürchten, ich beiße nicht!
Jede einzelne Nuance ihrer Haut. Ihr Lächeln. Es war alles noch da.
Ruhig bleiben… Nicht durchdrehen. Denk gar nicht an sie… an das …
Auf dem Fußboden lag noch sein Ausbildungsvertrag. Er steckte in einer Klarsichthülle. Irgendwas war darauf ausgelaufen. Eistee wahrscheinlich.
Vertrocknete Chips waren auch auf dem Fußboden…
Er hasste seinen Kleiderschrank!
Die Wut kam wie ein Tick – Zack – drosch er die Tür zu.
Er konnte und wollte diese verfickten Scheißhosen nicht mehr sehen. Die Jeans, die Jogginghosen… Und sie waren hier überall in diesem… diesem MÜLLBERG von Zimmer.
Du bist ein sehr unruhiger Geist, David
Bin Lasse
… die dicke, wulstige Hand am Ende eines Armes voll widerlicher Narben… Sie kam von hinten, kam aus dem Hinterhalt … Von der Rückbank.
STOP!!! STOPSTOPSTOP!!!!
David hielt sich die Ohren zu. Es half nichts. Seine Gedanken fuhren wieder Achterbahn mit ihm und er konnte nicht das Geringste dagegen unternehmen.
Mommor!
Wie findest du sie? Meine Muddä.
Sie ist geil von der Optik her.
Meine Muddä
Sein Magen krampfte sich zusammen. Warum musste das jetzt auch noch passieren?
Er drehte sich um und… Wieder sah er den Computer… und jetzt sah er auch die losen Kabel… Lose Kabel am Computer.
Er rollte darauf zu.
Ein Kloß im Hals…
Hier hatte sich sehr wohl etwas verändert.
Der Computer war gar nicht angeschlossen.
Aber warum war alles andere noch wie es war?
Warum war sein Computer…
„Mamaaa!“
„Ja?“
Er schaute den Computer an… Völlig gebannt…
Die Polizei musste ihn gehabt haben.
Die Polizei hat alles gesehen.
Alles, alles, alles! Auch die gespeicherten Fotos von den Frauen ohne Klamotten.
Und alles was er mit Lena geschrieben hatte… und mit den anderen Mädchen…
Sein Kopf fing an zu pochen… Seine Beine zuckten… Das Piepen in den Ohren setzte wieder ein.
„Ihr Sohn ist wirklich pervers,
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