Per Saldo Mord
erkundigte sie sich verdutzt.
»Ich bedanke mich bei ihm für die moralische Unterstützung«, erklärte ich. »Und jetzt wollen wir uns mal mit Bernice befassen. Was hat sie Ihnen über Standley Downer erzählt, den Mann, der ermordet wurde?«
»Wieso glauben Sie, daß sie mit mir über ihn gesprochen hat?«
»Das Hotelpersonal ist schließlich nicht taubstumm und blöd. Es weiß ganz genau, was hinter den Kulissen vorgeht. Hat er Evelyn Ellis heute morgen nach seiner Ankunft angerufen oder nicht?«
»Wie heißen Sie?«
»Donald.«
»Und weiter?«
»Donald genügt für den Moment.«
»Ich werd’ nicht schlau aus Ihnen, Donald.«
»Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über mich. Erzählen Sie mir lieber, was Sie von Standley Downer wissen.«
»Ich hab’ ihn in meinem ganzen Leben nicht gesehen.«
»Das weiß ich. Aber Sie haben eine Menge über ihn gehört, und das sollen Sie mir jetzt erzählen. Alles, jede Einzelheit.«
Sie starrte mich stumm an. »Ich begreife immer noch nicht, warum Sie annehmen, daß Bernice mit mir darüber gesprochen hat.«
»Ich nehme es nicht an, ich weiß es. Aber das ist eine lange Geschichte.«
»Kann man sie erzählen?«
»Sicher, warum nicht? Sehen Sie, Ernestine, Sie sind ein Mädchen, das sich brennend für Menschen und Dinge interessiert. Aber Sie sind zurückhaltend und tragen Ihr Herz nicht auf der Zunge. Sie sind wählerisch und lassen sich nicht mit jedem x-beliebigen ein. Wenn Sie andererseits einem Mann Ihre Freundschaft schenken, dann bedeutet das etwas; dann ist es Ihnen Ernst.«
Sie wandte die Augen ab und murmelte: »Aber wieso — aber was hat das alles mit Bernice zu tun?«
»Nun, Bernice ist genau das Gegenteil von Ihnen. Sie geht gern aus und nimmt ziemlich wahllos jedes Vergnügen mit, das sich ihr bietet. Männer bedeuten ihr nicht viel. Sie benützt sie als Eskorte, als Folie für ihre Schönheit und läßt sich von ihnen einladen. Sie hat keinen festen Freund, sondern schwirrt mal mit dem aus und mal mit jenem, je nach Lust und Laune.«
Ernestine musterte mich forschend und warf plötzlich den Kopf zurück. »Natürlich, Sie sind ja Detektiv, und ich selbst habe Ihnen unabsichtlich einen Anhaltspunkt geliefert, als ich Ihnen gleich an der Tür sagte, daß Bernice ausgegangen sei. Meine Vermutung, daß Sie mit Bernice verabredet gewesen seien und daß sie Sie versetzt habe, und mein Erstaunen darüber, daß Sie mit mir sprechen wollten und .., und... Sie haben aus alledem eben Ihre Schlüsse gezogen.«
»Natürlich. Was haben Sie denn sonst geglaubt? Daß ich über telepathische Fähigkeiten verfüge?«
»Nein. Ich meine nur die Art, wie... also, ich finde es direkt unheimlich, wie Sie in meinen Gedanken lesen.«
»Unsinn. Ich habe nur ein bißchen Charakterforschung betrieben, das ist alles. Und wie Sie ganz richtig bemerken, haben Sie mir selbst den Schlüssel dazu geliefert. Sie sagten vorhin, das Leben sei monoton. Folglich fühlen Sie sich manchmal ziemlich einsam. Am Abend sind Sie meistens allein. Dann sitzen Sie hier und lesen oder starren auf den Bildschirm. Sie lassen keine Sendung aus, und am liebsten sehen Sie Kriminalfilme mit Polypen, Gangstern und privaten Spürhunden, hab’ ich recht? Ich könnte wetten, daß Sie solche Programme stets einschalten und gar nicht genug davon kriegen.«
»Stimmt«, gab sie zu.
»Okay. Das Bild, das ich mir von Ihnen mache, sieht in groben Umrissen folgendermaßen aus: Sie sind keine gesellige Natur, aber klug und interessiert an den Menschen im allgemeinen. Der bloße Schein genügt Ihnen nicht. Sie möchten wissen, was unter der Oberfläche vor sich geht. Und als der Mord in Bernices Hotel passierte, brannten Sie förmlich darauf, möglichst viele Einzelheiten darüber zu erfahren. Sie konnten es kaum erwarten, bis Ihre Freundin an dem Tag nach Hause kam, und haben sie nach Strich und Faden ausgequetscht.«
Sie hob den Kopf und lachte hell auf. »Okay, Donald, Sie haben gewonnen. Ich hab’ tatsächlich keine Ruhe gegeben, bis Bernice mir alles erzählt hat.«
»Und was hat sie Ihnen erzählt?«
»Ja, aber ich weiß nicht, ob ich das Recht habe, es Ihnen zu sagen, Donald. Manches davon ist höchst vertraulich. Ich meine, es handelt sich um Dinge, die Bernice eigentlich gar nicht wissen dürfte.«
Ich nickte. »Verstehe. Sie hat sie am Telefon aufgeschnappt. Und gerade die Dinge möchte ich gern hören. Passen Sie auf, Ernestine, arbeiten Sie mit mir zusammen. Das wirkliche Leben ist
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