Percy Jackson, Band 4: Percy Jackson - Die Schlacht um das Labyrinth
übernommen zu haben. Die Oberfläche schimmerte. Nico tauchte auf, aber er befand sich nicht mehr in der Unterwelt. Er stand auf einem Friedhof unter einem Sternenhimmel. Ãberall um ihn herum ragten riesige Weidenbäume auf.
Er sah Totengräbern bei der Arbeit zu. Ich hörte Schaufelgeräusche und sah Erde aus einem Loch fliegen. Nico trug einen schwarzen Umhang. Es war eine neblige und schwüle Nacht und ich hörte Frösche quaken. Neben Nicos FüÃen stand eine riesige Einkaufstüte.
»Ist es nicht schon tief genug?«, fragte Nico. Er klang gereizt.
»Fast, junger Herr.« Es war derselbe Geist, mit dem ich Nico schon einmal gesehen hatte, dieses schwache, zitternde Bild eines Mannes. »Aber, junger Herr, ich sage Euch, das ist nicht nötig. Ihr habt doch bereits mich als Ratgeber.«
»Ich möchte aber eine zweite Einschätzung hören!« Nico schnippte mit den Fingern und das Graben hörte auf. Zwei Gestalten kletterten aus dem Loch. Es waren keine Menschen. Es waren in Lumpen gehüllte Skelette.
»Ihr seid entlassen«, sagte Nico. »Danke.«
Die Skelette zerfielen zu Knochenhaufen.
»Ihr könntet genauso gut den Schaufeln danken«, sagte der Geist verärgert. »Die haben genauso viel Verstand.«
Nico achtete nicht auf ihn. Er griff in seine Einkaufstüte, zog eine Zwölferpackung Coke heraus und öffnete eine Dose. Statt zu trinken, goss er den Inhalt ins Grab.
»Mögen die Toten abermals kosten«, murmelte er. »Mögen sie sich erheben und diese Gabe annehmen. Mögen sie sich erinnern.« Er warf auch die restlichen Dosen ins Grab und zog eine weiÃe, mit Bildern bedruckte Papiertüte hervor. Ich hatte seit Jahren keine mehr gesehen, erkannte sie aber sofort â es war eine Happy-Meal-Tüte von McDonaldâs.
Er stellte sie auf den Kopf und schüttete Pommes und Hamburger ins Grab.
»Zu meiner Zeit haben wir Tierblut genommen«, murmelte der Geist. »Das war gut genug. Sie schmecken doch sowieso keinen Unterschied.«
»Ich will ihnen Respekt erweisen«, sagte Nico.
»Lasst mich doch wenigstens das Spielzeug behalten!«, bat der Geist.
»Still!«, befahl Nico. Er leerte noch eine Zwölferpackung Cola und drei weitere Happy-Meal-Tüten ins Grab, dann stimmte er einen Sprechgesang auf Altgriechisch an. Ich konnte nur ab und zu ein Wort aufschnappen â es ging um die Toten und um Erinnerungen und Rückkehr aus dem Grab. So richtige Gute-Laune-Themen.
Das Grab fing an zu blubbern. Schäumende braune Flüssigkeit stieg über die Ränder, als sei das ganze Loch mit Waschpulver gefüllt. Der Nebel wurde dichter und die Frösche hörten auf zu quaken. Dutzende von Gestalten tauchten zwischen den Grabsteinen auf, bläuliche, nur vage menschlich wirkende Figuren. Nico hatte mit Cola und Hamburgern die Toten heraufbeschworen.
»Das sind zu viele«, sagte der Geist nervös. »Ihr kennt Eure eigenen Kräfte nicht.«
»Ich habe alles unter Kontrolle«, sagte Nico, aber seine Stimme klang brüchig. Er zog sein Schwert â eine kurze Klinge aus hartem schwarzem Metall. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Es war keine himmlische Bronze und kein Stahl. Eisen vielleicht? Die Schatten wichen bei seinem Anblick zurück.
»Einer nach dem anderen«, befahl Nico.
Eine Gestalt schwebte vorwärts und kniete am Grab nieder. Sie schlürfte beim Trinken. Ihre geisterhaften Hände fischten Pommes aus der Pfütze. Als sie sich wieder erhob, konnte ich genauer sehen, wen ich da vor mir hatte â einen Teenie in griechischer Rüstung. Er hatte Locken und grüne Augen und sein Umhang wurde von einer Schnalle in Form einer Muschel zusammengehalten.
»Wer bist du?«, fragte Nico. »Sprich.«
Der Junge runzelte die Stirn und schien sich nicht so recht erinnern zu können. Dann sagte er mit einer Stimme, die wie trockenes, zerfallendes Papier klang: »Ich bin Theseus.«
Nie im Leben, dachte ich. Zumindest nicht der Theseus. Er war doch noch ein Junge. Ich hatte mein Leben lang Geschichten darüber gehört, wie Theseus mit dem Minotaurus gekämpft hatte und so, und ich hatte mir immer einen Kraftprotz vorgestellt. Der Geist, den ich jetzt vor mir sah, war weder stark noch groÃ. Und er war nicht älter als ich.
»Wie kann ich meine Schwester zurückholen?«, fragte Nico.
Theseusâ Augen
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